Beziehung mit Gott

Unlearn Religion

von Annette Spitzenberg
min
11.04.2023
Gibt es einen Gott oder viele Götter? Ist meine Beziehung eng oder gar nicht vorhanden? Ist Gott männlich oder weiblich? "Beziehungen" war das Oberthema der Konfirmanden des regionalen Konfirmandenunterricht Appenzeller Vorderland. Dazu gehört auch die Beziehung zu Gott.

Zwei Drittel der Konfirmand:innen positionieren sich bei der Geschlechterfrage von Gott bei männlich, der Rest steht in der Mitte. Auf unser Nachfragen hin kommen Antworten wie: «Es heisst doch der Gott, Gott ist ein Mann, sonst müsste es ja Göttin heissen.»

Es hat mich verblüfft, wie tief verankert die Vorstellung nach wie vor ist, Gott sei männlich – auch in mir selbst. Ich benutze zwar regelmässig im Gottesdienst die Bibel in gerechter Sprache, welche bewusst auch weibliche Bezeichnungen für Gott verwendet. Dennoch ertappe ich mich selbst dabei, dass ich beim Vorlesen der Bibeltexte weibliche Bezeichnungen manchmal «zensiere» und doch die männliche Form verwende aus Sorge, jemanden vor den Kopf zu stossen.

Auf das Argument hin, Gott sei ja eh weder männlich noch weiblich und jenseits aller Geschlechtskategorien kann ich nur beipflichten. Zumal wir aus der Forschung wissen, dass Geschlecht ein Kontinuum darstellt mit einem grossen Spektrum und ebensolcher Vielfalt und nicht allein die körperlichen Geschlechtsmerkmale es bestimmen. Ich habe beim Meditieren tiefe Erfahrungen des Einsseins gemacht, in welchen jegliche Fragen des Geschlechts ihre Bedeutung verlieren (von Gott und mir selbst), weil es an diesem Ort keine Polaritäten mehr gibt und alles EINS ist.

Und dennoch machen die vorherrschenden Vorstellungen von Gott als männlich etwas mit mir als Frau. Maureen Murdock beschreibt in ihrem Buch «Der Weg der Heldin» folgende Erfahrung einer polnischen Frau: «Ich bin eine bildende Künstlerin und Gott wurde immer als Mann dargestellt. Es mag ein bisschen sehr simpel klingen, aber für mich ist Gott ein Mann. Wie kann ich je gleichrangig mit den Männern sein, wenn Gott ein Mann ist? Ich glaube, ich bin deshalb ständig so gestresst, weil ich immer so viel arbeite. Und ich arbeite deshalb so viel, weil ich ein so geringes Selbstbild von mir als Frau habe.»

Ich erinnere mich an ein internationales Forum zum Thema Rassismus. Die People of Color am Forum wehrten sich gegen die Vorstellung, man müsse als Lösung einfach auf die Ebene der Essenz gehen, wo es keine Polaritäten mehr gäbe: «Meine Essenz ist schwarz».

Meine ist weiblich. Daher frage ich mich, wird es gelingen, uns als Kirche auch zu erneuern im Sinne eines «semper reformanda»? Werden wir es schaffen, weibliche Gottesbilder nicht nur zuzulassen, sondern zu pflegen, im Wissen darum, dass das Göttliche jenseits aller Geschlechter ist? Muss ich nicht sogar ganz bewusst als Frau die weiblichen Gottesbilder suchen, damit ich mich als Ebenbild erfahren kann?

Mit der Verbrennung von Tausenden von Frauen als Hexen haben wir ein schwieriges und weitgehend unbewältigtes Erbe in unserer Kirchengeschichte.

Was ändert sich, seit Frauen in den evangelischen Kirchen zum Dienst zugelassen sind, es mittlerweile Professor:innen gibt, wir bei den gesamtschweizerischen Reformierten eine Frau an der Spitze haben so wie auch bei uns im Appenzellerland? Gelingt es so, die Gleichwertigkeit aller Geschlechter zu leben im Wissen darum, dass es auch für Männer Fülle, Beweglichkeit und Ganzheit bedeutet (JJ Bola)?

Kürzlich las ich das empfehlenswerte Buch «unlearn patriarchy» mit Beiträgen zu verschiedensten Themen wie Sprache, Arbeit, Wissenschaft, Rassismus, Bildung, Geld, Politik, Macht, und so weiter. Was fehlt, ist «unlearn religion». Dies würde wohl u.a. heissen, die einseitig patriarchal-herrschaftlich geprägten Bilder von Gott überwinden hin zu Gott-in-Beziehung.

 

 

Unsere Empfehlungen

Wenn der Glaube einem die Schuhe auszieht

Wenn der Glaube einem die Schuhe auszieht

Die Passionszeit ist traditionell die Zeit des Fastens und der Meditation. Der Journalist Stefan Degen hat «ein Sitzen in der Stille» in einer Kirche besucht und festgestellt, wie frei die Gedanken schweifen. Bericht eines Selbstversuchs.
Trotz-Kraft Ostern

Trotz-Kraft Ostern

Obwohl sie ihn zum Schweigen bringen wollten, lebt seine Botschaft weiter. Jesus ist auferstanden und wir sind seit 2000 Jahren mit der Trotz-Kraft von Ostern unterwegs. Rita Famos, Präsidentin der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz, über die Aktualität der Osterbotschaft.