Verschwörungstheorien - eine Annäherung

Wir sind bedroht

von Heinz Mauch-Züger
min
01.03.2024
Während der Covid-Pandemie haben Verschwörungstheorien Aufwind erhalten. Verschwörungen und damit verbunden Erzählungen über Bedrohungen durch Einzelpersonen, Bevölkerungsgruppen, Machthaber und Nationen gehören seit jeher zur Geschichte menschlicher Gesellschaften.

Verschwörungstheorien sind Denk- und Ansichtskonstrukte, welche heimliche Entwicklungen und Konstellationen aufdecken. Sie sind geprägt vom jeweiligen sozialen und weltanschaulichen Milieu der Theoretiker und ihrer Rezipienten. Verschwörungstheorien erklären Vorgänge und Ereignisse aus einem eng geführten Blickwinkel. Sie sind äusserst flexibel in der Integration von tatsächlichen und scheinbar stützenden Argumenten und verdichten sich im Laufe der Zeit zu, in sich selbstschlüssigen Anschauungen und Erklärungen. Verschwörungstheoretiker:innen sehen sich selber als mögliche Opfer oder als Aufklärer von Entwicklung und Ereignissen

Verschwörungserzählungen

Verschwörungserzählungen sind Bedrohungserzählungen. Die Beseitigung der Bedrohung bewirkt Befreiung. Jahrhundertealte Sprachbilder für die Bildung von Verschwörungstheorien sind Begriffe wie «Brunnenvergifter» oder «Kinderfresser». Solche Vorwürfe mussten sich die ersten Christen im römischen Reich gefallen lassen und sie tauchten wieder auf, als es gegen die Juden ging (Antisemitismus). Im internen christlichen Umfeld, wo der Zweifel an der Rechtgläubigkeit und der Teufelsglaube sich immer mal wieder selbständig machten, bestand die latente Gefahr Einzelpersonen und Gruppen als Bedrohung und Feinde der Ordnung einzustufen und gegen sie vorzugehen. Die Inquisition als Kontrollstelle wurde nie arbeitslos. Mit den Hexenverfolgungen reichte der Kampf gegen Bedrohungen und den teuflischen Feind bis weit ins neunzehnte Jahrhundert hinein.

 

Der Niedergang des kirchlichen Einflusses sorgte jedoch keineswegs für ein Verschwinden von Verschwörungstheorien. Die neuen sich bildenden Kräfte wie der Sozialismus und der Liberalismus zwangen die konservativen Kräfte, wo kirchliche und weltliche Persönlichkeiten oft ihre Interessen teilten, neue Bedrohungen auszumachen. Da boten sich einerseits die schon seit Jahrhunderten immer wieder gebrandmarkten Juden an mit dem neuen Schwerpunkt der Geldherrschaft, neu hinzu kamen noch die freimaurerischen Logen, die sich an humanitären Idealen jenseits von kirchlich-aristokratischen Werten orientierten und eben Geheimlogen waren, was ihre Bedrohlichkeit erhöhte.

 

Die Französische Revolution 1798 und die dadurch entstehende Verschiebung der Machtverhältnisse drängten nach der Benennung der Umsturzkräfte. Antisemitismus und Antimasonismus* brachten eine Fülle von Bedrohungsgeschichten hervor, die im 20. Jahrhundert im Kleid des Nationalsozialismus weitere fatale Blüten trieben und heute noch in Weltdeutungen der radikalen Rechten und Linken ihre Auswirkungen haben. Neben pseudoreligiös-politischen Erzählsträngen gibt es jedoch auch Verschwörungstheorien, welche den Einfluss von ausserirdischen Lebewesen einbeziehen. Ergänzt werden diese Geschichten aus dem Bereich von Wirtschaft und Finanz, wo einflussreiche, mächtige Einzelpersonen und Organisationen an der Machtübernahme national, international oder gar global arbeiten. Sachliche Enthüllungen von Fehlern aus diesen Bereichen durch die Medien werden aufgenommen und in die Theorie eingebaut. So vermischen sich Vermutungen und Fakten mehr und mehr zu einer stringenten Weltanschauung. Die Bedrohung wächst.

 

Der Treiber von Verschwörungstheorien ist ein grundsätzliches Misstrauen allem gegenüber, das die eigene Weltanschauung und Lebensweise in Frage stellt. Zur Zeit der Covid-Pandemie haben Unsicherheiten im politischen Handeln und nicht durchschaubare wissenschaftliche Aussagen ihren Teil beigetragen, Misstrauensgeschichten zu fördern. Ist die Theorie mal gebildet, wird jede Form der Klärung als Vertuschung oder Verharmlosung apostrophiert und stärkt die Theorie. Auch dieser Beitrag kann so gelesen werden.

 

*Antimasonismus ist eine ablehnende Haltung gegenüber Freimaurerei und Freimaurer.

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