Fokus: Geister

Vom Spiritismus zur Geisterjagd: die Entwicklung des Übernatürlichen

von Tilmann Zuber
min
29.09.2025
Ende Oktober ist Halloween. Für viele sind Geister, Dämonen und der Glaube an das Jenseitige eine Realität. Manche suchen Rat bei den Verstorbenen. Doch was steckt hinter den Begegnungen mit dem Übersinnlichen? 

Zuerst roch sie Zigarrenrauch. Mal in diesem, mal in jenem Raum des alten Hauses – obwohl niemand in der Familie rauchte. Dann sah sie ihn: einen grossen Mann mit Hut, der nachts im Flur stand und Zigarre rauchte, erzählt Eveline Hofer*. Als sie ihn ansprach und das Licht einschaltete, war er verschwunden. Später begegnete die Gestalt auch an­deren. Der Mann stand ruhig da und blickte aus dem Fenster. Nachforschungen ergaben, dass einst ein stattlicher Mann in dem Pfarrhaus lebte, der Zigarren rauchte und einen Hut trug.

Viele berichten von solchen Begegnungen mit dem Jenseitigen. Manche Geschichten überdauern Generationen – wie jene von der Grossmutter, die erlebte, wie sie zum Himmel auffuhr. Dort hörte sie eine Stimme – ob von Engeln oder Christus selbst: «Annemarie, du bist zu früh. Komm morgen um 12 Uhr wieder», erzählt ein älterer Mann. Tatsächlich sei die Grossmutter am nächsten Tag um Punkt 12 Uhr eingeschlafen und nie mehr aufgewacht.

Die meisten Religionen kennen Geister

In den meisten Religionen, Mythen und Legenden spielen Geister und Dämonen eine Rolle. In Afrika und Südamerika gehört der Kontakt zu Toten und okkulten Mächten zum Alltag. Auch in der katholischen Zentralschweiz oder im Wallis glauben viele, dass die Seele nach dem Tod umherwandert. «Es wäre falsch, zu behaupten, alle, die daran glauben, seien gestört oder Heiden. Manche erleben das als Realität», sagt Joachim Finger, Beauftragter für neue religiöse Bewegungen der Reformierten Kirche Schaffhausen. Problematisch werde es, wenn Menschen im Kontakt mit der anderen Welt Hilfe für ihr chaotisches Leben suchten. Das mache abhängig. «Vor allem, wenn man sich einem Medium anvertraut, das den Kontakt zum Jenseits vermittelt. Dann begibt man sich völlig in dessen Hände.»

Die westliche Welt zeigt sich seit der Aufklärung skeptisch gegenüber dem Übersinnlichen. Mitte des 19. Jahrhunderts aber kam der Spiritismus auf, zuerst im angelsächsischen Raum, wo die Industrialisierung auf alte, verwunschene Häuser und Schlösser traf – eine Zeit des Umbruchs zwischen Moderne und Mystik. Der moderne Spiritismus entstand 1848 im US-Bundesstaat New York. Die Schwestern Margaret und Kate Fox hörten in ihrem neuen Heim in Hydesville Klopfgeräusche. Sie machten dafür den Geist eines ermordeten Handelsreisenden verantwortlich, der im Keller begraben lag. Mit Klopfzeichen, die sie Buchstaben zuordneten, nahmen sie Kontakt zum Toten auf.

Die Sensation verbreitete sich schnell. Die Schwestern führten ihre Geisterbeschwörungen öffentlich vor, andere Medien und Hellseher folgten. Die Seelen der Verstorbenen wurden mit der Zeit mitteilsamer: Unsichtbar führten sie Hände, rückten Gläser, verschoben Möbel, schrieben Botschaften und sprachen durch Medien, die sich in Trance versetzten.

 

«Women with the spirit of her husband», eine Geisterfotografie von Édouard Isidore Buguet, ca. 1873–1875, in der Ausstellung «Geister. Dem Übernatürlichen auf der Spur im Kunstmuseum Basel. | Foto: Collection of The College of Psychic Studies, London

«Women with the spirit of her husband», eine Geisterfotografie von Édouard Isidore Buguet, ca. 1873–1875, in der Ausstellung «Geister. Dem Übernatürlichen auf der Spur im Kunstmuseum Basel. | Foto: Collection of The College of Psychic Studies, London

 

Die Spiritismus-Welle schwappte bald nach Europa. In den Metropolen trafen sich die Bürger zu Séancen und beschworen die Toten. Die neu erfundene Fotografie lieferte dazu scheinbare Beweise: verschwommene Gestalten, die wie Nebel über den Spiritisten schwebten. Selbst Sir Arthur Conan Doyle, der Autor der «Sherlock Holmes»-Romane, glaubte an Geisterfotografie. Er war überzeugt, sein im Ersten Weltkrieg gefallener Sohn sei als Geist zurückgekehrt. Nur wenige durchschauten den Betrug: Mehrfachbelichtungen oder Bettlaken, die durch den Raum flogen, reichten für den Hokuspokus.

Nach dem Zweiten Weltkrieg flaute der Spuk ab. Das Wirtschaftswunder und der Kapitalismus liessen dem Übersinnlichen wenig Raum. Mit der New-Age-Bewegung in den 1970er-Jahren erlebten Phänomene wie Telepathie, Psychokinese oder Hellsehen ein Comeback. Millionen Zuschauer verfolgten im Fernsehen, wie Uri Geller Löffel verbog. Doch um die Seelen der Verstorbenen wurde es still.

Geister erobern die Leinwand

Dafür eroberten Geister und Dämonen die Leinwand: als Poltergeister, die Kinder in den TV-Bildschirm ziehen, als grünschleimige Monster, denen Geisterjäger mit Laser­kanonen zu Leibe rücken, oder als verstorbener Liebhaber wie im Film «Ghost», der seine Ehefrau vor der Mafia rettet. Das Spiel mit den Untoten bringt bis heute Zuschauerquote.

Die reformierte Theologie tut sich schwer mit Geistern und Spiritismus. Nicht ohne Grund: Schon das Alte Testament warnt vor Totenbeschwörung. «Ihr sollt euch nicht an Wahrsager und Geisterbeschwörer wenden.» (3. Mose 19, 31).

Während Katholiken Messen für Verstorbene lesen und die Lehre vom Fegefeuer jahrhundertelang den Geisterglauben nährte, lehnen Reformierte die Vorstellung umherirrender Seelen kategorisch ab.

 

«Desvestidos (Entkleidet)», 2005, Ausschnitt aus der Installation von Claudia Casarino in der Ausstellung «Geister. Dem Übernatürlichen auf der Spur im Kunstmuseum Basel. | Foto: Noelle

«Desvestidos (Entkleidet)», 2005, Ausschnitt aus der Installation von Claudia Casarino in der Ausstellung «Geister. Dem Übernatürlichen auf der Spur im Kunstmuseum Basel. | Foto: Noelle

 

Nach Zwingli, Calvin und Bullinger sind Verstorbene in Gottes Hand oder nicht – aber keinesfalls als Spukgestalten unterwegs. «Es ist Aberglauben, zu meinen, die Seelen der Toten kämen zurück auf die Erde», schrieb Heinrich Bullinger, Zwinglis Nachfolger, in seinen «Zehn Thesen gegen den Aberglauben». «Die klassische protestantische Lehre vom Ganztod besagt, dass die Toten erst am Jüngsten Tag wiederbelebt werden», erklärt Joachim Finger, Doch ein Teil der reformierten Geistlichen sieht das offener. «Die Bibel geht selbstverständlich davon aus, dass es Geister, Engel und Dämonen gibt. Im Neuen Testament treibt Jesus Dämonen aus.» Heute interpretiere man diese Texte anders und erkläre dämonische Kräfte oft als psychische Krankheiten, so Finger.

Eveline Hofer spricht öffentlich nicht über ihre Begegnung mit dem rauchenden Wesen. Sie glaubt, dass ungelöste traumatische Erlebnisse Geister an Orte binden. Inzwischen taucht der Geist seltener auf. «Der Verstorbene hat verstanden, dass von mir keine Bedrohung ausgeht», sagt sie.

Und Joachim Finger? Er gibt den Rat: «Finger weg vom Spiritismus.» Die meisten Probleme seien menschlich und liessen sich ohne Geister, Medien oder Horoskope lösen. «Das können wir selbst meistern, ohne Gefahr zu laufen, manipuliert zu werden.»

 

* Name von der Redaktion geändert.

 

Von 20. September bis 8. März 2026 widmet das Kunstmuseum Basel den unergründlichen Wesen die umfangreiche Sonderausstellung «Geister. Dem Übernatürlichen auf der Spur» mit über 160 Werken und Objekten aus den letzten 250 Jahren.

Link zur Ausstellung

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