Dank Bildung und Weisheit

Überlebenskunst

von Thomas Staubli
min
24.01.2024
Die Levante ist überzogen von alten, einfachen Heiligtümern. Ein Baum, eine Zisterne oder Quelle, ein Haus über einem Scheichgrab gehören dazu, sowie ein Platz, wo sich die Menschen der Umgebung mindestens einmal jährlich zu einem Fest versammeln. Die Religion oder Ethnie spielt dabei keine Rolle.

Das ist die älteste Form menschlicher Frömmigkeit, die sich in der Levante vielerorts bis heute erhalten hat. Das Heilige ist gegenwärtig durch den Segen der Natur und eines Menschen, der wegen seiner Gerechtigkeit über sein Lebensende hinaus geehrt wird (Abb. 1).

 

Wettbewerb der Frömmigkeit

Die Levante ist aber auch überzogen von Städten, die miteinander handelten und im Wettstreit standen. Von Aleppo im Norden bis Gaza im Süden, von Damaskus im Osten bis Tyrus im Westen eiferten die Städte um Erfolg und Ansehen. Anders als im Niltal oder im Zweistromland oder bei den Griechen gelang es hier keiner Stadt länger über die anderen zu dominieren. Auch die Heiligtümer konkurrierten miteinander: Ein Wettbewerb der Frömmigkeit. Diesbezüglich trug tatsächlich Jerusalem den Sieg davon.

 

Zankapfel der Grossmächte

Dafür gibt es viele Gründe, aber auch einen tieferen Grund. Aufgrund ihrer geopolitisch zentralen Lage an der Nahtstelle dreier Kontinente war die Levante während der letzten 3500 Jahre der Zankapfel der Großmächte. Ägypter und Hethiter, Assyrer, Babylonier, Perser, Mazedonen und Römer, Byzantiner, Araber, Osmanen, Franzosen und Engländer spielten sich hier als Herren auf. Da sie diesem Druck militärisch nicht standhalten konnten, investierten die Jerusalemer besonders viel in Bildung. Ihre Gesetze verstanden sie als göttliche Gabe und deren Einhaltung als heilige Pflicht. Der Enkel von Jesus Sirach fasst es um 130 v. Chr. so zusammen: «Vieles und Grosses ist uns durch das Gesetz und die Propheten und die anderen, die ihnen gefolgt sind, gegeben. Dafür ist Israel wegen der Bildung und Weisheit zu loben.»

 

Solidarische Lebensweise

Den bestens gefüllten Bildungsrucksack trugen auch jene Juden, die von Persien bis Italien und vom Kaukasus bis nach Libyen in der Diaspora lebten. Das kam ihnen zugute. Denn während der sogenannten Pax Romana kam es zu einem Clash mit weltweiten Langzeitfolgen. Unter Pontius Pilatus wurde Jesus von Nazareth als «König der Juden» gekreuzigt und vierzig Jahre später wurde Jerusalem unter Kaiser Titus vollständig zerstört. Nichtsdestotrotz versammelten sich die Juden der Diaspora in ihren Synagogen. Ihre solidarische Lebensweise faszinierte viele Nichtjuden, doch mit der Beschneidung und den Speisegeboten taten sie sich schwer. Für sie entwickelte Paulus einen neuen Weg: Das Christentum.

 

Manchmal friedlich vereint

Jahrhunderte später gelang Mohammed eine weitere Adaption des Bildungsrucksackes für den arabischen Kulturraum. Mit dem Islam bevölkern in der Levante seither Menschen dreier Weltreligionen denselben Raum. Über den alten ländlichen Heiligtümern finden Christen und Muslime sich manchmal friedlich vereint, uralte Traditionen der Gastfreundschaft weiterführend (Abb. 2). Im öffentlichen Raum aber ringen sie immer wieder um Dominanz (Abb. 3). Dieweil rezitieren die Juden die Gebete ihres uralten Bildungsrucksackes vor der Mauer des zerstörten Tempels (Abb. 4; Ps 67,8): «Es segne uns Gott! Fürchten sollen ihn alle Enden der Erde!»

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