Thomas Schaufelberger: «Die Ablehnung des Plan P gefährdet die Stellung des Pfarramts»
Thomas Schaufelberger, welche Qualitäten braucht es fürs Pfarramt?
Man muss Menschen mögen. Man muss fähig und bereit sein, Beziehungen aufzubauen und ein Gespür für Lebensgeschichten zu entwickeln. Empathie und Kommunikationsstärke sind unverzichtbar. Ebenso wichtig sind geistliche Tiefe, hermeneutisches Verständnis und die Fähigkeit, aus der kirchlichen Tradition heraus Impulse zu geben. Führungskompetenz ist ebenfalls gefragt, um Menschen mit Visionen und Begeisterung mitzunehmen. Und schliesslich braucht es die Fähigkeit, besonders in unsicheren Zeiten kreativ zu bleiben.
Das sind etliche Eigenschaften, die nicht auf dem Lehrplan der Theologischen Fakultäten stehen. Braucht es das Theologiestudium noch, um Pfarrer oder Pfarrerin zu werden?
Ja, denn es legt eine solide Basis. Es schärft den analytischen Blick und vermittelt hermeneutische Fähigkeiten, um die biblischen Texte einzuordnen und zu deuten. Analyse und Kreativität werden im Studium gefördert und erworben. Doch vieles, was im Pfarramt zählt – Führung, Kommunikation, Konfliktfähigkeit, Teamarbeit – bleibt an der Universität Randthema. Hier setzt das Pfadprojekt an.
Pfadprojekt?
Das Pfadprojekt ermöglicht es, bereits nach dem Bachelor ins Pfarramt einzusteigen. Dafür arbeiten wir eng mit Theologischen Fakultäten zusammen, um das Curriculum, und die Erfahrungen der Theologinnen und Theologen zu verbessern.
Wäre es nicht sinnvoller, wenn Theologiestudierende in der Praxis, etwa in einer Bar oder im Altersheim arbeiten, statt Latein zu pauken?
Das Analytische hat seinen Wert, doch Sie haben recht, es braucht Praxis. Im Lernvikariat liegt der Fokus auf reflektierten Erfahrungen. Hier geht um die Beziehungen zu Menschen.
Zurzeit diskutiert man auch den «Plan P», bei dem über 55-jährige Akademiker bereits nach dreimonatigem Studium ein Pfarramt übernehmen können. Ist die Lage so ernst, dass diese drastischen Massnahmen nötig sind?
Ja. In der nächsten Zeit gehen viele Pfarrerinnen und Pfarrer in Pension, während die Zahl der Theologiestudierenden tief bleibt. Viele Pfarrstellen sind seit langem vakant. Manche Kirchgemeinde sucht seit Jahren vergeblich. Der «Plan P» soll verhindern, dass die hohen Standards des Pfarrberufs unter Druck geraten. Ohne ihn droht der Dammbruch: Kirchgemeinden könnten aus Verzweiflung unzureichend qualifizierte Personen einstellen – etwa aus Bibelschulen, Freikirchen, Katechese oder Diakonie. Wenn wir nichts unternehmen, dann führt das am Ende dazu, dass wir 19 verschiedene Zugänge zum Pfarrberuf haben, die oftmals nicht akademisch sind und für immer bestehen. Der «Plan P» ist eine Notlösung, welche die qualitativen Standards des Pfarrberufs bewahrt. Sobald sich die Lage auf dem Pfarrstellenmarkt entspannt, ist der «Plan P» beendet. Die Ablehnung des «Plan P» gefährdet die Standards, die Qualität und schliesslich die Stellung des Pfarramts.
«Plan P» wird weiterverfolgt
Die reformierten Kirchen setzen ihren Notfallplan gegen Pfarrmangel fort. Die Konkordatskonferenz beschloss am 13. Juni, Akademikern über ein verkürztes Theologiestudium den Zugang zum Pfarrvikariat zu ermöglichen. Das Studium soll an den Universitäten Zürich oder Basel absolviert werden. Von 17 Konkordatskirchen unterstützen zehn den Vorschlag. Die überarbeitete Vorlage wird im November 2025 vorgelegt, der Beschluss ist für Juni 2026 geplant. Frühestens 2027 könnte der Plan umgesetzt werden.
Nochmals kurz: Warum kommt es zu diesem Pfarrmangel?
Der Mangel hat viele Gründe: kleinere Studierendenjahrgänge, weniger Reformierte, viele Pensionierungen.
Mit Verlaub: Eigentlich wäre der Pfarrberuf, der so nahe bei den Menschen ist und Sinn vermittelt, ein Traumberuf. Heute wird er unattraktiver, durch Stellenkürzungen, Konflikte in den Kirchgemeinden, veraltete Strukturen und zu hohe Erwartungen.
Richtig, doch Kirchgemeinden, die ihre Hausaufgaben machen, haben bessere Chancen einen geeigneten Pfarrer oder eine geeignete Pfarrerin zu finden. Wer ein unattraktives Stellenprofil bietet, Konflikte verschleppt oder Innovation blockiert, wird Schwierigkeiten haben.
Auf was legen Vikarinnen und Vikare heute bei der Stellensuche Wert?
Sie wollen, dass die Kirchgemeinde weiss, was sie sucht und braucht, und ihnen den Freiraum für Ideen und deren Verwirklichung bietet. Kirchgemeinden, die Innovation und einen Freiraum für Veränderung und Gestaltung ablehnen, haben es schwer.
Funktionieren die Strukturen in Kirchgemeinden noch?
Oft nicht. In der reformierten Kirche ist die Leitungsfrage in den Kirchgemeinden oft ungeklärt. Zwar regelt die Kirchenordnung die Zuständigkeiten, doch in der Praxis gibt es oft ein Vakuum. Das Zusammenspiel zwischen Behörden, Kirchenpflege, Pfarramt und Gemeindekonvent ist nicht immer einfach, besonders wenn die Leitung intransparent ist.
Wer leitet die Kirchgemeinde?
Die Kirchenpflege trifft strategische Entscheidungen, muss aber den Pfarr- und Gemeindekonvent einbeziehen. Letztendlich liegt die Entscheidung bei der Kirchenpflege oder den Kirchgemeinderäten. Gute Beziehungen und gegenseitiges Entgegenkommen sind entscheidend. Da die meisten Behörden ehrenamtlich arbeiten, stellt sich die Frage nach der Qualität – eine Ausbildung ist ja für das Amt nicht erforderlich.
Zurück zum «Plan P». Reicht eine dreimonatige Ausbildung, wie sie der «Plan P» vorsieht?
Es liegt inzwischen ein weiterentwickelter Vorschlag zur Diskussion vor. Darin ist die Ausbildung auf ein Jahr erhöht: Ein halbes Jahr Studium an der theologischen Fakultät, ein halbes Jahr Praxis, um die nötigen Grundlagen zu vermitteln. Die Kandidaten übernehmen vakante Pfarrstellen, sind aber rechtlich keine ordinierten Pfarrer. Eigentlich wäre die Bezeichnung Pfarrvikar passender. Die Kandidaten müssen ein professionelles Assessment durchlaufen. Zielgruppe sind vor allem über 55-Jährige, die geeignet sind.
Gibt es Interesse am «Plan P»?
Ja, 55 Interessenten haben sich bereits gemeldet, viele mit beeindruckenden Lebensläufen und theologischen Vorkenntnissen. Einige haben schon einige Semester Theologie studiert. Es sind keine Quereinsteiger ohne Bezug zur Kirche.
Pfarrerinnen und Pfarrer betreuen Menschen in schwierigen Lebenssituationen. Reicht «Plan P», um die seelsorgerische Aufgabe zu bewältigen?
Die Seelsorge ist zentral. Deshalb legen wir grossen Wert auf die Auswahl. Im Assessment prüfen wir Empathie, Beziehungsfähigkeit, Kommunikationsstärke und Belastbarkeit.
Wie reagieren die Kantonalkirchen auf den «Plan P»?
Zehn von 19 Kantonalkirchen haben in der Vernehmlassung zugestimmt, sieben lehnten ab, zwei äusserten sich nicht. Die Meinungen sind geteilt. Viele verstehen jedoch die Notwendigkeit einer temporären Lösung, solange die qualitativen Standards für den Beruf gewahrt bleiben. Es ist eine schmerzliche Tatsache, dass uns heute der Pfarrnachwuchs fehlt.
Hand aufs Herz, dient der «Plan P» nicht auch dem Sparen, da die Absolventen weniger verdienen werden?
Die Anstellung von Pfarrerinnen und Pfarrer liegt bei den Kantonalkirchen, nicht beim Konkordat. Wir definieren lediglich die Zulassung zum Pfarramt. Wir empfehlen den Kirchgemeinden, sorgfältig zu prüfen, ob ein «Plan P»-Kandidat passt. Man könnte zum Beispiel festlegen, dass eine Vakanz schon eine bestimmte Zeit bestehen muss, bis ein «Plan-P»-Kandidat angestellt wird, um sicherzustellen, dass es keine Sparübung wird.
Jahrhundertelang bildete das Pfarramt ein Zentrum der reformierten Kirche und in der Gesellschaft, gerade was Kultur und Bildung betrifft. Verliert das Pfarramt durch «Plan P» diese Bedeutung?
Nein, das Rückgrat der Kirche bleibt. Ich bin überzeugt, dass die theologische Reflexion weiter eine zentrale Rolle haben wird. Bildung ist nicht nur akademisch, sondern auch geistig und biografisch. Ältere Quereinsteiger können eine Bereicherung sein. «Plan P» ist ein Notfallprojekt, kein Entwicklungsmodell. Es werden deutlich weniger als zehn Prozent der Pfarrschaft in der Deutschschweiz Absolventen einer «P»-Ausbildung sein. Das ist zu wenig, um einen Bedeutungsverlust zu befürchten.
Zuletzt: Wie sieht der Pfarrberuf in 30 Jahren aus?
Vielfältiger. Die Kirchgemeinden werden differenzierter, es wird verschiedene Profile für den Pfarrberuf geben. Die Arbeit der Pfarrerinnen und Pfarrer könnte leichter und innovativer werden, weil man sich von überholten Traditionen und Dingen löst, die man macht, «weil man sie immer gemacht hat».
Das befreit.
Ja, es wird viel weniger Druck geben. In dreissig Jahren sind wir an einem Punkt, an dem die Hoffnung und Sehnsucht, mit mehr Engagement und Arbeit zu den goldenen 70er Jahren der Kirche zurückkehren zu können, endgültig vorbei sind. Diese Nostalgie führt nur ins Burnout. Es braucht den Moment, an dem wir sagen, das Alte ist vergangen und es war gut so. Stattdessen braucht es neue Kräfte und Ideen, um die Kirche zukunftsfähig zu machen. Das befreit die Arbeit im Pfarramt, macht sie innovativer und lässt Luft zum Atmen und Nachdenken.
Thomas Schaufelberger: «Die Ablehnung des Plan P gefährdet die Stellung des Pfarramts»