Spukende Häuser, befragte Geister: Real oder Humbug?

von Stefan Degen
min
26.09.2025
Soziale Medien wimmeln von Berichten über angebliche Geisterkontakte. Menschen berichten von spukenden Häusern und spüren die Anwesenheit von Verstorbenen. Der Religionsexperte Georg Otto Schmid erklärt, was dahintersteckt.

Kerzenlicht, drei Frauen an einem Tisch, in der Mitte ein Glas. Dramatische Musik. «Ist hier ein Geist im Haus?», fragt eine Frau mit verzerrter Stimme. Plötzlich spickt das Glas hoch. Geschrei.

In den sozialen Medien wimmelt es von Gruselfilmchen mit angeblichen Geisterkontakten. Hier mit dem Ouija-Board. Screenshot Youtube-Kanal «Ghostcraft Coven»

In den sozialen Medien wimmelt es von Gruselfilmchen mit angeblichen Geisterkontakten. Hier mit dem Ouija-Board. Screenshot Youtube-Kanal «Ghostcraft Coven»

 

Solche Filmchen gibt es in den sozialen Medien zuhauf: Geisterbefragungen, Fotomontagen mit angsteinflössenden Soundeffekten, flackernde Kerzen und verwackelte Bilder. Vieles davon ist überzeichnet, manches offensichtlich eine Parodie. Nachdem ich mich stundenlang durch Instagram und Youtube geklickt habe, treffe ich Georg Otto Schmid. Er ist Leiter von Relinfo, der kirchlichen Fachstelle Religionen, Sekten und Weltanschauungen, und kennt die Szene in der Deutschschweiz wie wohl kein Zweiter.

Herr Schmid, was suchen Menschen, die solche Filmchen anschauen? Unterhaltung? Ein wohliges Gruseln? Oder steckt echtes Interesse an Übersinnlichem dahinter?

Georg Otto Schmid: Sicher oft ein wohliges Gruseln. Wir wissen, dass viele Leute, die gerne Geistergeschichten hören und Spukfilme schauen, gar nicht an Geister glauben. Wenn ein Geisterfilmchen 50 000 Klicks hat, heisst das nicht, dass das 50 000 Spiritisten sind.

Fragen nach der Zukunft sind sehr heikel, denn man kann sie benutzen, um anderen Angst einzujagen.

Auf Tiktok gibt es Anleitungen zum Gläserrücken. Worin liegt der Reiz, das selbst auszuprobieren?

Gläserrücken ist bei Jugendlichen attraktiv, weil man dazu fast nichts braucht. Ist der Abend im Klassenlager langweilig, so bringt man im Zimmer etwas Pfeffer rein. Man kann ganz einfach selbst überprüfen, ob man mit Verstorbenen reden kann. So kann man eine weltanschauliche Aussage konkret erfahren. 

Wie funktioniert Gläserrücken?

Man braucht ein Glas, notiert auf Zettel die Buchstaben des Alphabets und die Ziffern von 0 bis 9. Die Kärtchen Ja und Nein sind auch noch ganz praktisch. Dann legen alle einen Finger auf das Glas und los geht es mit der Geisterbefragung. Es funktioniert, wenn jemand unbewusst mit dem Finger schiebt. Oder bewusst.

Ich sage den Jugendlichen, wenn sie Methoden wie Gläserrücken oder das Ouija-Board testen wollen, dann sollen sie nach den Fussballresultaten vom nächsten Wochenende fragen. Dann merken sie schnell, ob es funktioniert.

Was fragt man einen Geist?

Man kann gruslige Fragen stellen. Darin liegt auch die Gefahr: dass die Antworten die Menschen belasten.

Zum Beispiel?

Mich hat einmal eine 35-jährige, schwangere Frau angerufen. Mit 15 Jahren hatte sie im Klassenlager Gläserrücken gemacht. Da wurde die Frage gestellt, ob sie dereinst ein krankes Kind zur Welt bringe. Die Antwort war Ja. Diese blöde Frage hat ihr 20 Jahre lang Angst eingeflösst. Fragen nach der Zukunft sind sehr heikel, denn man kann sie benutzen, um anderen Angst einzujagen. Spiritistisches Mobbing quasi.

Was raten Sie Jugendlichen, die sich für solche Methoden interessieren?

Ich sage ihnen, wenn sie Methoden wie Gläserrücken oder das Ouija-Board, das ähnlich funktioniert, testen wollen, dann sollen sie nach den Fussballresultaten vom nächsten Wochenende fragen. Dann merken sie schnell, ob es funktioniert. Und die Antworten sind völlig harmlos.

Ein weiteres Phänomen sind spukende Häuser. Da gibt es Anbieter, die angeblich Geister aus den Häusern vertreiben.

Menschen haben das Gefühl, ihr Haus sei durch Verstorbene belastet. Sie deuten dann alles Mögliche mit diesem Muster: Wenn der Wind eine Tür zuknallt, ist das der Geist der verstorbenen Schwiegermutter, die einem auch nach dem Tod keine Ruhe lässt.

Was steckt dahinter?

Oftmals steckt eine belastende Wohnsituation dahinter, in der man sich nicht wohlfühlt. Es gibt diverse Anbietende aus verschiedenen Religionen und aus dem Esoterikbereich, die die Geister durch ein Ritual angeblich vertreiben.

Funktioniert es?

Oft nicht. Man geht dann von einem Anbietenden zum nächsten: von der Neo-Schamanin zur Heilsarmee, vom Esoteriker zu den Franziskanern. Was hingegen oft hilft, ist die Wohnung zu wechseln – gerade wenn eine belastende Wohnsituation die Ursache ist.

Es gibt es auch weniger spektakuläre Formen von Kontakt mit Verstorbenen. «Wenn ich auf diesem Bänkli sitze, spüre ich, dass Paul auch da ist», berichtete mir kürzlich eine verwitwete Frau.

Das ist häufig. Typischerweise läuft es sich aus und wird weniger, je mehr Zeit seit dem Todesfall verstrichen ist.

Gehört das zum Trauerprozess?

Ja, und man sollte diesen Menschen ihre Erfahrung nicht absprechen. Ein Beweis für irgendeine Form von Jenseits sind solche Erfahrungen aber auch nicht. Aus reformierter Sicht müssen wir zudem ehrlicherweise sagen: Eigentlich passt das nicht ganz zu unserem Glauben. Denn aus reformierter Sicht sind die Verstorbenen bei Gott und spuken nicht herum. Für Pfarrpersonen ist das eine Gratwanderung.

Der Forschungsstand ist klar: Es lassen sich keine paranormalen Phänomene bestätigen.

Der Kontakt mit Verstorbenen ist ein Business. Ein Seminar beim Schweizer Branchenprimus Pascal Voggenhuber kostet schnell einmal Hunderte von Franken.

Der Spiritualist Voggenhuber bietet selbst keine Jenseitskontakte mehr an. Er bildet Leute aus, die das machen. Und zwar viele. Er hat im Schweizer Markt beinahe ein Monopol erreicht.

Manche Spiritualisten treten vor Publikum auf. Was geschieht da?

Er spüre eine ältere, verstorbene Dame im Raum, sagt der Spiritualist. «Hat jemand eine solche Person im Umfeld?», fragt er ins Publikum. Fast alle strecken auf. «Ich sehe, sie hat auf dem Land gewohnt.» Nur noch die Hälfte streckt auf. «Sie war eher klein.» – So geht das weiter, bis nur noch eine Person die Hand oben hat. Diese fragt er, wer die Verstorbene für sie gewesen sei. «Meine Grossmutter.» Dann übermittelt der Spiritualist die Botschaft der Grossmutter: «Es geht ihr gut und sie segnet dich. Bei der Entscheidung, die bei dir ansteht, sollst du nichts überstürzen.» Und dann habe sie noch eine Botschaft für Martin. «Kennst du einen Martin?»

Jeder kennt jemanden, der Martin heisst.

Genau. So funktioniert es. Es ist eine Mischung aus allgemeinen Aussagen, die immer stimmen, Dingen, die sich nicht überprüfen lassen, und spezifischen Aussagen, die die betreffenden selbst zuordnen. Das beweist nichts.

Und das Publikum ist zufrieden?

Ja, weil es das Wunder sucht – deswegen kommt es ja zu dieser Veranstaltung.

Was ist schlecht daran, ein Medium aufzusuchen, um mit Verstorbenen in Kontakt zu treten, wenn es den Trauernden hilft?

Schülerinnen und Schüler Voggenhubers sagen ausschliesslich Positives. Im Falle eines Suizides könnten sie zum Beispiel im Namen des Verstorbenen sagen: «Das war in meinem Lebensplan so vorgesehen, ich musste genau so lange leben und dann gehen. Ihr hättet nichts für mich tun können. Macht euch keine Sorgen, es geht mir gut – und der Abschiedsbrief, den ich geschrieben habe, der stimmt nicht. Die Vorwürfe, die ich euch gemacht habe, sind falsch. Jetzt, im Jenseits, sehe ich: Ihr habt euch richtig verhalten.» Alles löst sich in Minne auf. Die Verstorbenen geben den Lebenden immer recht. Ich finde aber: Das ist eine billige Wunscherfüllung, wo einfach nur Positives gesagt wird.

Hilfe bei Suizidgedanken

Jugendliche: Tel. 147, www.147.ch
Erwachsene: Tel. 143, www.143.ch


Nützen solche Anbietenden die psychische Notlage der Trauernden aus?

Ich glaube, die meisten sind wirklich der Ansicht, dass sie Gutes bewirken, und hegen keine bösen Absichten. Es gibt aber auch einzelne sehr schwarze Schafe, die den Trauernden Angst machen und ihnen so Ritual um Ritual aufnötigen – für viel Geld.

Als nüchterner Zwinglianer halte ich Geister und dergleichen für Humbug. Bin ich naiv?

Das müssen Sie selbst wissen (lacht). Der aktuelle Forschungsstand im Bereich Parapsychologie ist klar: Es lassen sich keine paranormalen Phänomene bestätigen. Sie gehören zum Feld des Glaubens. Wenn also jemand mit dem Anspruch kommt, dieses oder jenes sei bewiesen, dann ist das wissenschaftlich nicht korrekt. Das deckt sich auch mit meiner persönlichen Erfahrung: Ich habe nie ein Phänomen gesehen, das ich für einen Beweis für etwas Paranormales halte. Wenn ich komme, machen die Geister Pause (lacht).

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