Sich der St. Galler Naziopfer erinnern

von Jörg Krummenacher
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12.06.2025
Am Donnerstag, 12. Juni, sind in der Stadt St. Gallen zwei Stolpersteine zur Erinnerung an St. Galler Opfer der Nationalsozialisten gelegt worden. Sowohl Szloma Sochaczewski wie Martha Wodiunig waren durch das NS-Regime ermordet worden.

Nach der ersten Steinlegung vom Herbst 2023 für Arthur Vogt hat die Gruppe Ostschweiz des Vereins Stolpersteine Schweiz am Donnerstag zwei weiteren Opfern aus der NS-Zeit gedacht. Sie erinnert damit daran, dass auch Menschen aus der Ostschweiz unverschuldet in den Verfolgungsapparat der Nazis gerieten. Die beiden gut besuchten öffentlichen Gedenkanlässe in der Stadt St.Gallen fanden an der Rosenbergstrasse 44 (Szloma Sochaczewski) und Wassergasse 16 (Martha Wodiunig) statt – im Beisein von Angehörigen und von Klassen der Kantonsschule am Burggraben St.Gallen. Die Stolpersteine werden jeweils an früheren Wohnorten der Nazi-Opfer gesetzt.

Menschen statt Nummern

«Die Nationalsozialisten wollten die verfolgten Menschen zu Nummern machen und ihre Identität auslöschen», sagte der St.Galler Stadtrat Markus Buschor im Rahmen seiner Grussbotschaft bei der Steinsetzung für Szloma Sochaczewski. Mit den Stolpersteinen werde dieser Prozess gleichsam rückgängig gemacht. «Die Stolpersteine», so Buschor, «holen die Namen wieder in die Straßen und Städte, in denen die Menschen lebten, und vor allem zu uns zurück.»

Der 1904 im russisch-polnischen Uniejow geborene Szloma Sochaczewski kam kurz nach seiner Geburt mit der Familie nach St.Gallen, wo er die Kantonsschule besuchte und in einer Konfektionsfabrik arbeitete. 1937 wurde er, weil er Schulden gemacht hatte, von der st.gallischen Regierung ausgewiesen, da er die «fremdenpolizeilischen Bestimmungen zu wiederholten Malen schwer missachtet» habe. Sochaczewski zog nach Frankreich und gründete eine Krawattenfabrik. Im Gefolge antijüdischer Massnahmen wurde er 1944 deportiert.

Bezug zur Gegenwart

Martha Wodiunig, die 1906 als uneheliches Kind in St.Gallen geboren wurde, gehörte zu den Opfern der Euthanasiemorde unter dem Nazi-Regime. Insgesamt wurden hunderttausende kranke und behinderte Menschen getötet. Durch die Heirat ihrer Mutter war Martha Bürgerin von Moos im österreichischen Kärnten geworden. Kaum war sie erwachsen, wurde sie «aus armenpolizeilichen Gründen» aus der Schweiz ausgewiesen. Mehrfach landete sie in der Heil- und Pflegeanstalt Klagenfurt, von wo sie 1941 in einem Todestransport nach Niedernhart gebracht und ermordet wurde.  

Die Geschichte von Martha Wodiunig, sagte die st.gallische Regierungsrätin Laura Bucher bei der zweiten Steinsetzung, sei auch eine Schweizer Geschichte: Sie handle von einer Frau, «die nicht mehr zu uns gehörte, weil die Behörden das Gefühl hatten, dass sie aus gesundheitlichen Gründen mehr Kosten als Nutzen verursachen würde». Laura Bucher machte den Bezug zur Gegenwart, «weil wir auch heute erleben, wie demokratische Werte in Frage gestellt werden». Als ein Beispiel nannte sie die aktuelle Situation in den USA, wo Menschen über Nacht aufgrund ihres ausländerrechtlichen Status abgeschoben würden – «oft ohne rechtskräftige Urteile, oft unter menschenunwürdigen Bedingungen». 

Das Projekt Stolpersteine

Die Stolpersteine sind ein Projekt des deutschen Künstlers Gunter Demnig, an dem er seit 1992 arbeitet. Die im Boden verlegten kleinen Gedenktafeln aus Messing sollen an das Schicksal von Menschen erinnern, die in der NS-Zeit verfolgt, ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden. Die mittlerweile über 100’000 Steine in über 20 Ländern gelten als grösstes dezentrales Mahnmal der Welt. Der Verein Stolpersteine Schweiz besteht seit 2021, die Gruppe Ostschweiz seit 2022.

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