Steine widerspiegeln die Vielfalt des Lebens

Schwarz, weiss, bunt

von Annette Spitzenberg
min
01.05.2024
Steine weisen in der Hitzeglut eines Vulkans bei ihrer Erstarrung unterschiedlichste Formen, Farben und Härtegrade auf. Das regt dazu an, sie als Gleichnis für das menschliche Leben in seiner Vielfalt zu betrachten.

Fasziniert beobachtete ich vor etlichen Jahren auf Lipari die schwimmenden, leichten, weissen Bimssteine im Meer. Er ist so weich, dass man sich damit die Hornhaut abreiben kann. Daneben am Strand den tiefschwarzen, extrem scharfen Obsidian, aus dem die Menschen im Steinzeitalter Werkzeuge herstellten. Beide Steine stammen aus einer Quelle, aus dem Vulkan, der zur Entstehung der äolischen Inseln nördlich von Sizilien geführt hat. Wie kann es sein, dass derselbe Vulkan schweres und leichtes Gestein, weiches und hartes, schwarzes und weisses, hervorbringt?

 

Harte und weiche Kerle

Und doch ist es so. Steine sind unglaublich vielfältig, unter ihnen gibt es harte und weiche Kerle, Kostbarkeiten wie seltene Edelsteine, durchscheinende Kristalle, gewöhnliche Kieselsteine, bunte, graue, sehr alte und etwas weniger alte. Auch wenn ich weder von Geologie und Gesteinsarten viel verstehe noch von (Halb-)Edelsteinen, so nehme ich doch immer mal wieder einen Stein mit von einer Wanderung oder einem Urlaub. Nicht immer erinnere ich später, wo ich ihn gefunden habe, doch die Freude an Formen und Farben bleibt.

 

Der Fels in der Brandung

Manchen Halbedelsteinen werden heilkräftige Schwingungen nachgesagt. In der Schweiz nennen sich die Kristallsucher Strahler. Von einem heilsamen Stein berichtet auch die Bibel, es war kein Edelstein, doch er wurde für Jakob auf der Flucht in der Wüste zum Traumstein und hat ihm eine tiefe Gottesbegegnung ermöglicht. Er sah eine Leiter, verbunden mit dem Himmel, und Engel herauf- und herabsteigen. Gott selbst wird oft mit einem Felsen verglichen, der Schutz, Halt und Festigkeit bietet in den Stürmen des Lebens. Wie ein Fels in der Brandung eben.

Andere Steine können zu Stolpersteinen werden, wenn sie plötzlich im Weg liegen, uns aus dem Tritt bringen oder gar zu Fall. Davon weiss Ps 91, 11.12 etwas zu sagen: «Gottes Engel haben den Auftrag, dich auf allen deinen Wegen zu bewahren. In der hohlen Hand tragen sie dich, damit dein Fuß nicht an einen Stein stosse.» Bekanntlich wurde Jesus mit diesem Vers in der Wüste versucht vom Widersacher, damit er sich in die Tiefe stürze. Jesus konterte und erwiderte, man solle Gott nicht auf die Probe stellen (Dtn 6, 16).

Die Bibel zeugt davon, dass der widerständigste Stolperstein in eine Quelle des Guten verwandelt worden ist.

In dieser Erzählung begegnen sich Gutes und Widerständiges. Weisses und Schwarzes, Scharfes und Weiches, Leichtes und Schweres gibt es in jedem Leben. Auf Lipari kommen beide Gesteinsarten aus einer Quelle. Sie sind selbstverständlich weder gut noch böse, auch wenn sich mit dem leichten Bimsstein im Gegensatz zum scharfen Obsidian keine Waffen herstellen lassen. Sie liessen sich in der Steinzeit gleichermassen verwenden, einfach zu unterschiedlichen Zwecken. So mag es mit manchem auch sein, was uns persönlich im Leben widerfährt und das wir oft automatisch als gut oder schlecht, schwer oder leicht erleben und bewerten. Doch hat sich der eine oder andere Stolperstein meines Lebens im Nachhinein als Segen entpuppt. Was uns im Leben begegnet, kann alle Qualitäten der unterschiedlichsten Steine umfassen. Die Bibel zeugt davon, dass der widerständigste Stolperstein in eine Quelle des Guten verwandelt worden ist. Der gewaltsame Tod Jesu wurde zur sichtbaren Liebe der Auferstehungskraft Gottes, und er damit zum Eckstein. Dadurch sind wir zu lebendigen Steinen geworden, die gemeinsam das Reich Gottes in dieser Welt bilden.

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