Gastbeitrag von Judith Wipfler

Mein «Plan C» für eine Kirche ohne studierte Theologinnen und Theologen

von Judith Wipfler
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07.06.2025
«Plan P» sei die pragmatische Lösung für eine Übergangszeit, bis die Reformierten eh ausgestorben seien, heisst es mancherorts etwas zynisch. Könnte man mit einem «Plan C» stattdessen die reformierte Bildungskultur retten? Ein Gastbeitrag von Judith Wipfler.

Latinum, Graecum, Hebraicum – das hatte ich mit 19 Jahren schon in der Tasche, um mich mit unzähmbarer Leidenschaft ins Studium der Theologie zu stürzen. An der Uni Basel genoss ich dann eine geisteswissenschaft­liche Bildung mit Blick über den reformierten Tellerrand. Das war noch vor der Bologna-Reform, also «früher».

Damals konnte man noch nach Lust und nicht nach Credit-Points studieren: mit Althistorikern Israel bereisen, im germanistischen Seminar Paul Celan lesen, mit Lukas Kundert Talmud lernen und bei Hartmut Raguse «Hermeneutik und Antihermeneutik von Roland Barthes bis Susan Sontag» – die Textkopien dieser Seminare hüte ich bis heute auf Papier.

Offenbar erlebte ich die letzte Phase reformierter Bildungskultur. Darauf scheint man heute verzichten zu wollen oder «zu müssen», wie behauptet wird. Der «Plan P» sei die pragmatische Lösung für eine Übergangszeit, bis wir Reformierten eh ausgestorben sein würden.

Doch keine falsche Nostalgie. Seien wir ehrlich: Kritische Bibelarbeit interessiert nur wenige. Das war «früher» nicht anders. Und die – heute ebenfalls serbelnde – katholische Bibelarbeit hatte uns in ihrer Basiswirkung links überholt.

Ich meine trotzdem: Ohne Master in Theologie wird reformierte Kirche keine Falle machen im säkularen Umfeld, in Politik und Gesellschaft, im Dialog mit Fo­rschung und Innovations­industrie. Derweil ist die intellektuelle Bedeutungslosigkeit der Reformierten bereits Fakt.

Es bleibt uns altmodisch Bildungs- und Bibelversessenen (nur) die Möglichkeit, uns in Lernzirkeln zusammenzutun, auch online. Da kommen sogar mehr «als zwei oder drei» zusammen. Und der Geist wird unter uns wohnen.

Ich habe das schon erlebt: wie der Eros des Textauslegens uns in Lerngruppen ergriff – die Köpfe tief über die Bücher gebeugt. In jüdischer Praxis heisst solches Lernen im Dialog Chavruta, was so viel heisst wie Freundschaftskreis. Darum «Plan C».

Auch mit dieser Idee überholen mich jetzt die Katholiken: Just während ich diesen Gastbeitrag tippe, ruft mein Freund und Jesuit Christian Rutishauser eine solche Chavruta ins Leben. Doch mein «Plan C» wird ohnehin nur ökumenisch funktionieren. Er ist zudem urjüdisch und urchristlich.

Mein Plan C ist wohl nur etwas für Freaks. Aber das waren die Jesusleute ja auch. Und wenn Sie diesen «Kirchenboten» lesen, werden Sie tatsächlich einige Plan-C-Angebote finden mit grossartigen studierten Theolog:innen. Noch!

Die Basler Theologin und Radiojournalistin Judith Wipfler studierte Evangelische Theologie an der Universität Heidelberg und an der Theologischen Fakultät in Basel. Seit 2001 arbeitet die Religionsexpertin für Radio SRF und führt seit 2014 die Fachredaktion Religion. Die Universität Bern hat Judith Wipfler für ihr langjähriges Engagement im interreligiösen Dialog mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichnet.

Foto: SRF/Bildbearbeitung Kirchenbote

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