Ein Selbstgespräch mit einem Dorfpfarrer

Männer haben's auch nicht leicht

von Lars Syring
min
21.09.2023
Das Gespräch mit sich selbst führte Lars Syring an einem lauen Sommerabend am offenen Fenster.

Hallo Lars, schön Dich zu sehen.

Ja, danke, gleichfalls. Welches Thema haben wir denn heute?

Männer!

Männer? Und da kommst Du zu mir?

Wieso denn nicht? Du bist doch ein Mann.

Irgendwie schon. Aber das ist heute nicht so ganz einfach.

Wieso das denn?

Weil alles im Fluss ist. Früher war das einfacher, hab ich den Eindruck. Heute ist nicht mehr ganz klar, was einen Mann zu einem Mann macht. Das hat Herbert Grönemeyer schon in den 80ern gesungen: „Wann ist ein Mann ein Mann?“ Mann = Macho, das funktionierte plötzlich nicht mehr.

Das musst Du erläutern. Wie meinst Du das?

Naja. Auf der Konfirmationsreise waren wir im Kino. Wir gehen immer nach Spenge ins Zentraltheater. Da gibt es bei jeder Bankreihe einen Serviceknopf. Den kannst Du drücken und dann kommt jemand, bei dem Du Glace bestellen kannst.

Wow. Das ist klasse. Tolle Idee!

Ja. Super. Find ich auch. Wir gehen dahin, ganz egal, welcher Film läuft. In diesem Jahr lief „Fast and Furious 10“. Die Konfirmierten haben sich gefreut. Ich war skeptisch. Die ersten 9 Teile hatte ich nicht gesehen und keinen Plan, worum es da überhaupt geht.

Ist doch klar: Männer! Muskeln! Autos!

Genau darauf will ich hinaus. Vin Diesel spielt einen Mann, Dominic Toretto, der nicht nur ein imposantes Auto hat, sondern auch eine Familie. Toretto holt seine Vergangenheit ein. Die Familie wird von einem Schurken angegriffen, der alles zerstören will, was Toretto liebt.

Das ist doch ein beliebter Plot. Nichts Ungewöhnliches.

Ungewöhnlich nicht. Aber wenn ich mir jetzt vorstelle, Vin Diesel ist der Prototyp eines Mannes, naja.

Wegen der Muskeln?

Auch. Aber auch, weil er offensichtlich eine gestörte Beziehung zu seinem Auto hat. DA ist quasi ein Familienmitglied. Er hat das selbst getunt. Neben der Handbremse ist eine Gasflasche angeschlossen. Und wenn es kritisch wird, dreht an einem Rädchen und sofort strömt Nitro in den Motor und gibt ihm dieses entscheidende Bisschen mehr Power. Genau soviel, dass er dem Schurken entkommt. Aber ich will nicht spoilern. Doch auch dieses ganze Gerede von Vergeltung und so. Das ist nicht meins. Wenn das Männer sind, dann bin ich wohl keiner.

 

 

 

Hat Dich dieser Film so in Deiner Identität erschüttert?

Der Film ist nur ein weiterer Baustein. Was einen Mann ausmacht, wird mir immer unklarer. Früher gab es lediglich ein biologisches Kriterium. Und die Rollenerwartung war auch klar. Der Mann geht arbeiten und schafft genügend Geld heran. Die Frau kümmert sich um die Kinder und den Haushalt. Bei meinen Eltern ist dieses Modell noch gut aufgegangen. In meiner Generation passte das schon nicht mehr. Für alles müssen wir Verabredungen treffen.

Wer macht den Haushalt? Wer geht Einkaufen? Worauf können wir uns einigen? Wer arbeitet wieviel und wann? Wer holt die Kinder ab?

Uns Männern stellen sich banale Fragen, auf die es schwer fällt, eine Antwort zu finden. Manchmal habe ich den Eindruck, wir können nur verlieren. Wenn ich mit einer Frau unterwegs bin, und wir kommen an eine Tür: Gehe ich dann einen Schritt vor und halte ihr die Tür auf, so wie das früher gentlemanlike gewesen wäre? Oder halte ich die Frau für so emanzipiert, dass sie das vielleicht in den falschen Hals bekommen könnte?

Ich habe damals lange überlegt, wie und ob ich meiner Frau einen Heiratsantrag machen soll. Eigentlich hätte sie das ja auch machen können, emanzipiert wie sie ist. Oder? Schon das war heikel. Ich hatte überlegt: Frag ich sie „Willst du meine Frau werden?“, dann wäre das zu sehr auf der Ebene des Besitzverhältnisses, zu possessiv. Frage ich sie: „Willst du den Rest deines Lebens mit mir verbringen?“, klingt das zu depressiv. Ich habe dann: „Willst du mich heiraten?“ genommen. Was Besseres ist mir nicht eingefallen.

Ja. Das war bei mir genau so!

Naja. Hauptsache sie hat „Ja“ gesagt.

Und damit das klar ist: Ich behaupte nicht, dass es für Frauen heute einfacher ist. Ich spüre da auch viel Unsicherheit. Und ich bin erstaunt, wie heute junge Frauen wesentliche Aspekte, für die die Frauen früherer Generationen gekämpft haben, als nicht mehr so wichtig taxieren.

Als wir neulich ein Reglement überarbeitet haben, meinten zwei junge Frauen, wir könnten auf die inklusive Sprache verzichten. Es reiche doch, wenn dort die männliche Form stehe. Ich kam mir seltsam vor, dass ich als Mann Frauen gegenüber für ihre Rechte kämpfe.

Und in der Generation nach uns ist die ganze Geschlechterfrage ja noch viel unübersichtlicher. Plötzlich gibt es mehr Möglichkeiten. Ich kann sogar „Nicht binär“ sein, auch wenn das noch nicht im Ausweis eingetragen werden kann. Das dritte Geschlecht ist in der Schweiz nicht anerkannt. Aber der Wechsel des Geschlechts ist auf dem Zivilstandsamt jetzt ganz einfach und ohne Diskriminierung möglich. Und offensichtlich wird diese Möglichkeit genutzt. Sich im falschen Körper fühlen – dahinter steckt viel Leid. Das ist nicht einfach. Und in den sozialen Medien geben die Menschen an, wie sie angesprochen werden möchten, wie sie sich selbst definieren.

 

 

 

Ist denn die Frage nach dem Geschlecht heute nur noch die Frage, wie man sich fühlt?

Naja. Ich vermute nicht, dass das so einfach ist. Heute wird vom „sozialen Geschlecht“ gesprochen. Geschlecht hat viele Aspekte. Aber eben. Da scheint es durchaus Abstufungen des Fremdheitsemfindens zu geben. Wenn ich mir vorstelle, ich rede mit Vin Diesel und seinen Jungs, dann fühle ich mich auch irgendwie fehl am Platz. So bin ich nicht Mann. Und es gibt viele Aspekte, Rollenzuschreibungen usw., bei denen ich sagen würde: So bin ich nicht. Und: So will ich auch gar nicht sein. Aber deshalb würde ich mein Geschlecht nicht in Frage stellen. Ich bin, ganz klar, ein Mann. Aber mit den Schubladen habe ich Mühe. Ich fühle mich nicht fremd in meinem Körper.

Eher fremd in den Rollenzuschreibungen.

Genau. Mich überfordert das alles ein bisschen. Da sind viel zu viele Fettnäpfchen und Verletzlichkeiten. Vielleicht reicht es aus, wenn wir uns einfach als Menschen sehen. Sind diese ganzen Dualitäten nötig? Im 1. Mose 1, 27 heisst es: „Und Gott schuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes schuf er ihn (den Menschen, nicht den Mann!); als Mann und Frau schuf er sie.“ So übersetzt die Zürcher Bibel. Im Hebräischen steht da: „männlich und weiblich schuf er sie.“ Das anzuerkennen würde schon viel Dampf vom Kessel nehmen. Denn es ist ja nicht zu bestreiten, dass wir männliche und weibliche Anteile in uns haben. Unterschiedlich ausgeprägt natürlich, bunt gemischt. Aber so oder so: Wir sind geschaffen im Bilde Gottes, des Gottes, der alles in allem ist, wie Paulus das sagt.

Wie sieht Dein Sohn das denn mit dem „Mann-Sein“?

Ich habe ihn gefragt. Er hat erst mal nachgedacht. Und dann sagte er: „Alles, was ich sagen könnte, wird von allen anderen, die eine andere Meinung haben, auseinander genommen.“

Also hat er lieber nichts gesagt?

Ja. Aber das ist tragisch, oder? Wenn wir sprachlos sind, auch aus Sorge, wir könnten andere verletzen. Oder aber wir verletzen einander bewusst, vielleicht aus Angst vor den eigenen unbewussten Anteilen. Ach, das ist heikel.

Wie hat Grönemeyer so schön gesungen: „Männer haben's schwer, nehmen's leicht!“

Ok. Darauf können wir uns einigen.

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