Lieblingskinder in der Bibel
Doch Gefühle lassen sich nicht gerecht aufteilen und das Leben ist voller Unvollkommenheiten. Ausgerechnet die Bibel – unser geistlicher Kompass – erzählt ungeschönt von Lieblingskindern. Sie verharmlost nichts, benennt innerfamiliäre Spannungen, eifersüchtige Geschwister, verletzte Gefühle – aber sie berichtet auch von Gottes überraschenden Wegen.
Jakob und Esau
Eines der bekanntesten Lieblingskinder ist Jakob, der jüngere Zwilling von Isaak und Rebekka. Schon im Mutterleib geraten die Brüder aneinander (Gen 25,22). Isaak bevorzugt den kräftigen Esau, Rebekka den listigen Jakob. Diese Parteinahme prägt ihr Verhältnis – lange entfremdet, gelingt erst spät eine Versöhnung. Jakob wird – als Muttersöhnchen und Trickser – Stammvater Israels. Seine Geschichte zeigt: Gottes Wahl fällt nicht nach menschlicher Logik. Und sie zeigt auch: Der durch Täuschung erlangte Segen bleibt hohl, bis Jakob – nach Jahren des Lernens, Leidens und Ringens mit Gott – zum Träger des echten Segens Gottes wird.
Joseph – Lieblingssohn mit Träumen
Noch dramatischer ist die Geschichte von Jakobs Sohn Joseph. «Jakob aber hatte Joseph lieber als alle seine Söhne… und er machte ihm einen bunten Rock.» (Gen 37,3). Die Bevorzugung führt zu Eifersucht, Hass, schliesslich zum Verkauf Josephs als Sklaven. Die Familientragödie endet erst Jahrzehnte später mit einer Versöhnung. Aus dem ausgestossenen Bruder wird der Retter seiner Familie. Nicht der Neid hat das letzte Wort, sondern die Gnade. Joseph fasst es rückblickend in den schönen Satz: «Ihr hattet Böses mit mir vor, aber Gott hat es zum Guten gewendet.» (Gen 50,20).
Und Jesus?
War Jesus ein Lieblingskind? Bei seiner Taufe ertönt die Stimme Gottes: «Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen.» (Mk 1,11). Für seine irdischen Eltern war er aber eher ein Sorgenkind. Mit zwölf bleibt er im Tempel zurück, ohne Bescheid zu sagen (Lk 2,41–50).
Auch später bleibt Jesus unbequem. Er stellt die Bedeutung der leiblichen Familie in Frage: «Wer ist meine Mutter, und wer sind meine Brüder?»– und antwortet selbst: «Wer den Willen meines Vaters im Himmel tut, der ist mir Bruder, Schwester und Mutter.» (Mt 12,48–50).
Ein angepasstes Liebkind wollte Jesus sicher nicht sein. Er lebte seine Berufung kompromisslos – und genau das hat viele irritiert. Nähe zu Gott ist nicht erblich und nicht an Rolle oder Herkunft gebunden. Sie wächst dort, wo Menschen sich auf die Nachfolge einlassen – mit ganzem Herzen und der Bereitschaft, alte Sicherheiten hinter sich zu lassen.
Lieblingskinder – Segen oder Last?
Lieblingskinder haben es nicht unbedingt leichter. Sie stehen unter Erwartungsdruck, werden beneidet oder ausgeschlossen. Joseph wird verkauft, Jakob muss fliehen, Jesus wird verkannt. Bevorzugung bringt nicht automatisch Glück – manchmal ist sie mehr Last als Erleichterung.
FĂĽr Gott sind wir alle Lieblingskinder
Die tröstlichste Botschaft des Evangeliums zu diesem Thema ist: Für Gott gibt es keine Erst- und Zweitplatzierten, keine Übersehenen. In Christus sind wir alle «geliebte Kinder» (Eph 5,1). Nicht weil wir besonders sind, sondern weil Gottes Liebe besonders ist: Sie ist nicht exklusiv, sondern unermesslich gross und schliesst alle Menschen ein.  Es geht nicht darum, das Lieblingskind Gottes zu sein, sondern sich in seiner Einmaligkeit von Gott geliebt zu wissen.
Lieblingskinder in der Bibel