Luthers reformatorischen Eingebungen

Erkenntnisse am stillen Örtchen

von Annette Spitzenberg
min
07.01.2024
Da soll es geschehen sein: An diesem stillen Örtchen, dem steinigen Klo im Wittenberg’schen Turm des Lutherhauses, welcher 2004 von Archäologen entdeckt wurde, gewann Martin Luther seine reformatorischen Erkenntnisse.

Hier soll Luther seine reformatorische Erkenntnis gehabt haben. Er selbst sprach später in seinen Tischreden davon, dass er auf dem «locus», dem Örtchen, resp. «in cloaca» zu seinem Durchbruch gekommen sei. Luther litt zeit seines Lebens unter Verstopfung. Daher verbrachte er viel Zeit an diesem Ort, der beileibe nicht so bequem war wie heute, eisig kalt im Winter, steinig hart der Untergrund.

Die Erkenntnis viel

Da sass er also, strengte sich an, presste, mit hochrotem Kopf, und plumps, fiel die erlösende Erkenntnis nicht nur ins Klo, sondern auch in seine Sinne: Gott ist gnädig. So lange hatte er sich schon gequält, gerungen, gelitten, gezweifelt, gehadert. So sehr hatte er gebetet, gefastet, gerecht gelebt als Mönch, und wusste sich doch nur einem strafenden, zornigen Gott gegenüber. Würden seine Anstrengungen denn nie ausreichen, um der Hölle zu entkommen, um vor Gott gerecht zu sein?

Plumps: «Der Gerechte wird aus Glauben leben» (Röm 1, 17) – etwas ausführlicher in Lutherdeutsch: «In ihm (d.h. Christus) wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben, wie geschrieben steht: Der Gerechte wird aus Glauben leben.»

Plumps: Gott ist gnädig und barmherzig. Der Glaube an Christus macht frei von Schuld. Ich kann es weder leisten noch verdienen, es ist geschenkte Gnade.

Wann es genau geschah, ist umstritten, datiert wird zwischen 1513-1518 und ob es so plötzlich geschah, auch. Einige Forschende reden von einer kontinuierlichen Entwicklung. Das eine schliesst das andere nicht aus. Erkenntnisse können wir plötzlich haben, wie der Blitz, der vor dem jungen Luther einschlug und ihn stammeln liess: «Hilf, heilige Anna, ich will Mönch werden.» Doch blitzartige Einsichten sind oft das Ergebnis eines jahrelangen Ringens.

Auch seine jüngere katholische Zeitgenossin Teresa von Avila hatte einen Durchbruch, nicht im Klo, sondern in ihrer stillen Klosterzelle vor einer Christusstatue, nach jahrelangem Ringen. Auch sie war einst aus Angst vor der Hölle ins Kloster eingetreten, welche völlig zurücktrat hinter die Erkenntnis von Gottes Liebe in Christus.

Blitzartige Einsichten sind oft das Ergebnis eines jahrelangen Ringens.

Das Bewusstsein, das grosse Rätsel

Ich habe mich an eine eigene Kloerkenntnis meiner Kindheit erinnert im Alter von vier, fünf Jahren. Auf der Toilette sitzend wurde mir bewusst, dass ich mir meiner selbst bewusst bin. Ein Ich inmitten dieses Universums, das über sich selbst, andere und Gott nachdenken kann. Das Bewusstsein, dieses grosse Rätsel. Warum haben wir es? Woher kommt es? Haben Tiere auch eines? Was ist das Bewusstsein? Wie kann man es erforschen? Wird die künstliche Intelligenz auch eines entwickeln können? Warum ich diese Erkenntnis auf dem Klo hatte? Dem Ort, wo das hinkommt, was mittels des Verdauungsprozesses durch unseren Körper hindurchgeknetet wurde, Schlinge um Schlinge, vermischt mit den Verdauungssäften, die alles herausfiltern und verdauen, was dem Körper Energie und Kraft gibt. Millionen von Bakterien unseres Mikrobioms an der Arbeit, bis schliesslich ausgeschieden wird, was der Körper nicht mehr braucht. Er gibt es her und lässt los. Wir wissen heute, dass unser Darm eine Art zweites Gehirn ist und eng mit dem im Kopf verbunden. Er hat seine eigene Weisheit. Vielleicht fällt uns an diesem stillen Ort manches ein und anderes raus.

Ich brauche ihn nicht mehr, den zornigen, strafenden Gott.

Runter ins Klo damit

Möglicherweise war es damals bei Luther auch das. Plumps: Ich brauche ihn nicht mehr, den zornigen, strafenden Gott, die bohrende Angst vor der Hölle. Runter ins Klo damit. Weggespült. Hin zum Evangelium des gnädigen, barmherzigen Gottes, dessen Liebe sich in Christus zeigt.

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