Die Dolmetscherin
«Sind Sie eine Geistheilerin, ein Medium oder eine moderne Hexe?» Auf diese Frage reagiert die Frau, mit der ich mich heute unterhalte, mit einem Lachen und sagt: «Nein, all das bin ich nicht. Ich bin eine ganz normale Frau, habe Familie, bin berufstätig, manchmal impulsiv, fröhlich oder betrübt.» Sie begegnet mir offen, wirkt nicht geheimnisvoll, sondern geerdet und unkompliziert. Ich lasse sie erzählen und notiere ihre Worte:
«Vor Jahren suchte ich Hilfe für mein Kind und fand sie bei einer Frau mit speziellen Fähigkeiten. Dadurch änderte sich meine vorher sehr kritische Einstellung zu diesem Thema. Ich fragte mich, ob diese Begabung angeboren oder erlernbar sei. Ich machte eine Ausbildung um zu lernen, mich mit dem Unterbewusstsein anderer Lebewesen zu verbinden. Mit Erstaunen spürte ich, dass dies möglich ist. Heute bin ich überzeugt, dass diese Fähigkeit in jedem Menschen ist. Kinder sind bis zu einem gewissen Alter offen für Dinge, die sich mit Vernunft nicht erklären lassen. Später im Leben verliert sich dieses Vertrauen, da es rational nicht zu erklären ist.
Ich empfinde mich heute als Dolmetscherin oder ‹Knotenlöserin› für Menschen und andere Lebewesen. Der Erstkontakt mit den Hilfesuchenden, oder im Fall von Pflanzen und Tieren mit den dafür Verantwortlichen, ist stets telefonisch, später verkehren wir meist schriftlich oder über Sprachnachrichten. Ich kenne meine Klienten nicht persönlich und ich verbinde mich niemals mit Menschen, ohne ihren Auftrag. In meinem Bekanntenkreis weiss kaum jemand von meiner Tätigkeit und ich mache keine Werbung. Ratsuchende kommen zu mir, weil sie in ihrem Umfeld von mir erfahren und Probleme haben, für die sie keine andere Anlaufstelle finden.»
Wie muss ich mir Beratungen und Behandlungen vorstellen?
«Während der Beratung begebe ich mich in einen meditationsähnlichen Zustand, der mich empfänglich macht für mein Gegenüber. Menschen, welche im seelischen Gleichgewicht sind, sehe ich leuchtend gelb. Wird die Farbe heller, stimmt etwas nicht. Sehe ich rote Stellen, weiss ich, dass im Körper ein Problem vorliegt. Manches kann ich lösen, oder ich spüre, ob einfache Mittel wie Schüsslersalz, Tee oder Verhaltensanpassungen helfen können. Rücken-, Becken- oder Knieprobleme und andere Verschiebungen am Skelett sehe ich wie asymmetrische Strichfiguren. Oft gelingt es mir, die Balance wieder herzustellen und Schmerzen zu lindern, indem ich alles gedanklich wieder an den richtigen Platz schiebe. Besonders bei Kindern geschieht es, dass ich ihre Befindlichkeit am eigenen Körper spüre. Wenn ich zum Beispiel durch die Augen eines Kindes verschwommen sehe, und es nach meiner Empfehlung dank einer Brille gut sieht ist, freut es mich. Doch ich bin keine Ärztin und würde mir niemals anmassen, schwere Krankheiten heilen zu können. Sehe ich etwas Ungewöhnliches, rate ich meinem Gegenüber dringend, medizinischen Rat einzuholen. Nachher zu erfahren, dass dadurch eine Krankheit früh genug entdeckt und behandelt werden konnte, macht mich dankbar.»
Kann diese «Dolmetscherarbeit» auch im psychischen oder zwischenmenschlichen Bereich etwas bewirken?
«Oft wünschen sich Menschen Hilfe in Beziehungsproblemen. Auch diese sehe ich bildlich vor mir. Paare können abgewandt voneinander stehen, jemand winzig klein, der andere riesengross scheinen, Kinder viel zu weit weg oder erdrückend nah sein. Ich ordne Familien bildlich so, dass sie wieder im Gleichgewicht sind, sich zugewandt stehen und in die Augen sehen. Bei psychischen Problemen hilft es vielfach, den Ratsuchenden zuzuhören, im Unterbewusstsein zu sehen, was sie belastet und dies gemeinsam loszulassen. Die Menschen wieder zu erden, ihr Vertrauen in sich selbst zu stärken bewirkt viel. Bei Kindern sind es oft unerklärliche Ängste, die sie zu Schulverweigerern oder Aussenseitern machen. Die Gründe zu spüren und dem Unterbewusstsein des Kindes die Angst zu nehmen, es zu stärken oder den Eltern zu erklären, wie sie ihr Kind unterstützen können, ist befriedigend. Gelegentlich fragen mich Personalverantwortliche um Rat bei der Anstellung von neuen Mitarbeitenden. Bewerbungen auswerten müssen sie selber, doch ich kann anschliessend nachsehen, ob jemand in das bestehende Team und zu den Anforderungen passen wird.»
Belastet Sie nicht, was Sie sehen und tun?
«Nein, denn ich kann Belastendes und Schwieriges bereits während der Behandlung abgeben und ‹nach oben› schicken. Für mich ist dort Gott. Meine Klienten ermutige ich, es jener Schöpferkraft zu übergeben, an die sie glauben. Nach den Beratungen kehre ich bewusst in meinen Normalzustand zurück und oft weiss ich keine Details mehr. Positive Rückmeldungen bestärken mich in meiner Arbeit und nicht alles ist belastend. Für Tiere oder Pflanzen zu arbeiten ist etwas Besonderes. Wenn eine Kuh mit schlechter Milchqualität mich wissen lässt, dass sie im Stall neben den falschen Nachbarinnen steht, fasziniert es mich, wenn nach dem Platzwechsel wieder alles in Ordnung ist. Es gibt auch Situationen, die mich amüsieren. So ‹erklärte› mir ein verkümmerter Zwetschengenbaum, wo er am neuen Wohnort des Besitzers stehen und wie er gepflegt werden wollte. Jetzt gedeiht er prächtig. Und als mich kürzlich eine Pferdebesitzerin bat, ihre Stute anzusehen, erfuhr ich von dem Tier, dass seine Besitzerin schwanger ist.»
Sie sind also doch so etwas wie ein Medium?
«Nein, absolut nicht. Ich kann weder verschwundene Dinge finden noch Warzen vertreiben. Es ist auch nicht so, dass ich immer Erfolg habe. Menschen, welche nur auf Drängen anderer mit mir Kontakt aufnehmen, entziehen sich mir. Auch meinen Partner und die eigenen Kinder erreiche ich nicht, was wahrscheinlich gut ist. Ich könnte kaum Tatsachen, eigene Gefühle und Unterbewusstsein trennen. Hätte mir vor Jahren jemand prophezeit, ich würde einmal in diesem Metier arbeiten, ich hätte es nicht geglaubt. Heute empfinde ich es als Geschenk, eine etwas spezielle Dolmetscherin sein zu dürfen.»
Die Dolmetscherin