Selbstgespräch eines Landpfarrers

Die bessere Gerechtigkeit

von Lars Syring
min
01.08.2025
Das Selbstgespräch eines Landpfarrers zu den ungelösten Konflikten in den verschiedenen Regionen der Welt.

Guten Tag Herr Syring. Haben Sie den Sommer gut überstanden?

 

Ja. Danke. Persönlich schon. Aber was die grosse Weltlage angeht, bin ich skeptisch.

 

Sie meinen wegen der ungelösten Konflikte in den verschiedenen Regionen der Welt?

 

Und auch wegen der unverlässlichen Politik, die uns im Moment von unseren «Freunden» in Amerika entgegen kommt. Was ist das für eine Welt, wenn wir uns nicht mal mehr auf unsere politischen Freunde verlassen können? Auf wen können wir uns denn dann verlassen?

 

Gute Frage. Und es fällt mir zunehmend schwerer, eine Lösung für die grossen Fragen zu finden, vor denen wir heute stehen. Wie könnte eine gerechte Lösung dieser Konflikte aussehen?

 

Tja. Gerechtigkeit. Das ist ein grosses Wort. Und eine der grossen Forderungen, die Gott in der Bibel an uns stellt. Ohne Gerechtigkeit wird es keinen Frieden geben. Das ist in der grossen Politik genauso wie im privaten Leben. Der Prophet Micha schreibt (6, 8): «Er hat dir gesagt, Mensch, was gut ist, und was Gott bei dir sucht: Nichts anderes als Gerechtigkeit tun, Freundlichkeit lieben und behutsam mitgehen mit deinem Gott.»

 

Was meint denn da Gerechtigkeit?

 

Vor allem geht es darum, Gottes Gebote einzuhalten. Wenn wir das tun, wird sich Gerechtigkeit ausbreiten und wir werden Gerechte. Jesus fasst die Gebote ja zusammen mit «Du sollst Gott lieben und deinen Nächsten wie dich selbst.» Wohlgemerkt: Der Nächste ist nicht nur der, der mir vor Augen ist. Das ist auch der Hungernde am anderen Ende der Welt. Wir wissen heute ja besser als jemals zuvor, dass alles mit allem zusammen hängt. Und wenn es uns gelänge, wenn wir dieses Dreieck der Liebe leben könnten, wären wir einen grossen Schritt weiter zur Gerechtigkeit.

 

Dann ziehe ich immer weitere Kreise, oder? Und ich beginne so: Liebe dich selbst. Akzeptiere dich so, wie du bist. Nimm dich an. Sag «Ja» zu dir. So wie Gott zu dir «Ja» gesagt hat. Und dann sag auch «Ja» zu den Menschen, die mit dir unterwegs sind. Gott hat auch «Ja» zu ihnen gesagt.

 

Und Gott hat sie nicht gemacht, wie ich sie gemacht hätte!

 

Sehr richtig! Also liebe auch den Menschen neben dir. Und dann noch weiter: Liebe den Fremden. Liebe den Gegner. Den Feind, bis es niemanden mehr gibt, den du nicht lieben kannst!

 

Das ist der Weg zur Gerechtigkeit. Nicht ganz einfach. Aber es gibt keinen besseren, soweit ich das überblicke.

 

Und was meint Jesus dann, wenn er uns auffordert zu einer besseren Gerechtigkeit (Matthäus 5, 20)?

 

Wenn ich das gut verstanden habe, weist er auf die Motivation hin, wegen der wir gerecht handeln wollen.

 

Das verstehe ich nicht.

 

Schau mal: Du kannst versuchen, Gerechtigkeit zu leben, weil du meinst, dass du das musst. Zum Beispiel, weil du meinst, du könntest dir so vor Gott irgendeinen Anspruch erwerben. Und weil du meinst, dass andere das von dir erwarten. Jesus warnt (Lukas 11, 42): «Doch wehe euch! Ihr gebt den Zehnten von Minze, Raute und jedem Kraut, aber am Recht und an der Liebe Gottes geht ihr vorbei. Dies aber sollte man tun und jenes nicht lassen.» Es geht bei der «besseren» Gerechtigkeit, die Jesus sich wünscht, nicht um eine Erfüllung von Moralvorstellungen. Oder um ein «man macht das nicht». Es geht ihm um ein freies und freiwilliges Handeln, das in der Liebe Gottes gründet. Um eine Gerechtigkeit, weil wir in der Liebe Gottes geborgen erfahren haben, dass das die selbstverständliche Konsequenz aus unserer Liebe zu Gott ist. 

 

So gesehen ist die Ethik dann erst der zweite Schritt. Zunächst geht es um die Liebesbeziehung zu Gott. Daraus resultiert alles. Und dann bleibt der Andere nicht einfach nur «Objekt» unserer Gerechtigkeit, sondern bleibt «Subjekt». Ein Mensch auf Augenhöhe.

 

Ganz genau.

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