Das Spiel mit der Sprache
Weil ich Lyrik liebe, habe ich auf meinem Nachttisch immer einen Gedichtband liegen (aktuell Robert Walser). Auch mit meinen Kindern habe ich Gedichte gelesen, wir haben uns köstlich amüsiert über das lautmalerische und humorvolle Gedicht «Ottos Mops» von Ernst Jandl, diesem genialen, dadaistischen Wortakrobaten. Hilde Domins Gedicht «Bitte» wurde mir immer wieder neu zum Wegbegleiter in schwierigen Momenten.

Ich liebe die knappe und verdichtete Form von Sprache und bewundere die Fähigkeit, mit ihr zu spielen. In wenigen Worten werden Bilder erzeugt, Stimmungen geschaffen, oder lautmalerisch das Ohr umschmeichelt. Sie bringen mich zum Schmunzeln, Staunen oder ich sehe eigene Erfahrungen in ihnen gespiegelt.
Unter der religiösen Lyrik ist mein Lieblingsdichter der verstorbene Berner Pfarrer und Theologe Kurt Marti (1921–2017), der es wie kein anderer verstand, Theologie und Poesie miteinander in Verbindung zu bringen, sowohl auf Mundart als auch in der Schriftsprache. Er lebte damit die biblische Verbindung von Theologie und Poesie, er war ein Theopoet. Er schrieb nicht nur religiöse Lyrik, sondern verdichtete auch Alltagssituationen, zeitgeschichtliche und politische Beobachtungen, Naturphänomene und die Liebe.
Im Folgenden möchte ich Ihnen drei meiner theologischen Lieblingsgedichte vorstellen:
geburt
ich wurde nicht gefragt
bei meiner zeugung
und die mich zeugten
wurden auch nicht gefragt
bei ihrer zeugung
niemand wurde gefragt
ausser dem Einen
und der sagte
ja
ich wurde nicht gefragt
bei meiner geburt
und die mich gebar
wurde auch nicht gefragt
bei ihrer geburt
niemand wurde gefragt
ausser dem Einen
und der sagte
ja
Dieses Gedicht habe ich in Seelsorgesituationen oft verwendet, wenn Menschen Schwierigkeiten hatten, sich selbst anzunehmen, weil ihre Eltern das aus irgendeinem Grund nicht so gut geschafft hatten. Das bedingungslose «Ja» Gottes, welches über jedem Leben steht, wird darin treffend ausgedrückt.
weihnacht
damals
als gott
im schrei der geburt
die gottesbilder zerschlug
und
zwischen marias schenkeln
runzlig rot
das kind lag
Geburt auch hier. In wenigen Worten lässt Marti abseits von Weihnachtskitsch die Bilder einer realen Geburt aufleuchten und führt uns die Ungeheuerlichkeit der Menschwerdung radikal vor Augen.
Und zum Schluss ein Mundartgedicht:
alles i allem
i mynen erinnerige a gott
chunnt gott nid vor
i myne erläbnis mit gott
chunnt gott nid vor
i myne tröim vo gott
chunnt gott nid vor
i myne hoffnige uf gott
chunnt gott nid vor
«DU KANNST DIR KEIN GOTTESBILD MACHEN»
i mynen erinnerige a gott chunnt alles vor
nume nid gott
i mynen erläbnis mit gott chunnt alles vor
nume nid gott
i myne tröim vo gott chunnt alles vor
nume nid gott
i myne hoffnige uf gott chunnt alles vor
nume nid gott
«DER ALLES IN ALLEM SEIN WIRD»
Dieses hymnische Gedicht erinnert an die negative Theologie, die sagt, dass man über Gott nichts äussern kann, weil Gott jenseits aller Zuschreibungen ist. Marti bricht dies runter in seine eigenen Erfahrungen mit Gott. Damit zieht er eine Grenze vor der Vereinnahmung Gottes in eigene Bilder, Vorstellungen und Wünsche, dem Missbrauch seines Namens. Und gleichzeitig leuchtet das mystische Paradox auf: Gott ist jenseits von allem und zugleich alles.
Das Spiel mit der Sprache