Mein Lieblingsmensch

«Das ist die Richtige»

von Heinz Mauch-Züger
min
01.05.2025
Unterwegs mit jemandem, zu welchem man einmal Ja gesagt hat. Ein Ja, an das man sich bindet im Wissen, dass es keine Garantien gibt. Ein Ja, von dem man nicht weiss, ob man selbst es durchalten kann und wie viel Zeit einem das Leben schenkt, um es einzuüben.

Was vor 44 Jahren in winterlicher Umgebung an einem Jugend + Sport-Skileiterkurs beziehungsmässig begonnen hat, ist immer noch unterwegs. Seit 37 Jahren als Ehepaar. Je nach persönlichem Werdegang ist die Art der Beziehung bünzlig und spiessig und von vorgestern und überhaupt – völlig unverständlich. Ja, unverständlich ist es allemal. Selbstverständlich waren auch bei uns die rosaroten Jahre mal vorüber. Äusserliche Attraktivität wurde mehr und mehr verdrängt durch Gewohnheiten, Rollen spielten sich ein. Selbstverständlichkeiten vermittelten scheinbare Übereinstimmung.

Anfänge

Mein Lieblingsmensch faszinierte mich in erster Linie durch sein Selbstbewusstsein, seine Initiative und seine Offenheit gegenüber unvorhersehbaren Entwicklungen. Diese Eigenschaften waren verbunden mit einer beharrlichen Eigenständigkeit. Das Ja zu den eigenen Gefühlen – ob positiv oder negativ – und ein lebendiges Lachen, in welchem ein grosses Vertrauen ins Leben mitschwang, weckten in mir das Gefühl «das ist die Richtige».

Zusammenwachsen

Es ist ein Gefühl, das sich seltsamerweise mit den Jahren vertieft und an Weite gewinnt. Was es, aus meiner Erfahrung, dazu braucht, ist ein Gegenüber, das sich nicht einfach einfügt, sondern eigenständig bleibt und diese Eigenständigkeit in die Beziehung einbringt. Das bringt Spannung, das provoziert dezibelerhöhte Dialoge und frostverbreitendes Schweigen. Die Schmetterlinge im Bauch melden sich mal kurz ab. Das bringt jedoch auch die gemeinsame Freude an Erlebtem und Vorfreude auf Kommendes. Es weckt das Interesse, wie es dem Lieblingsmenschen geht, und daran, was ich tun kann, dass dieser Mensch sich mit mir wohlfühlt. Natürlich gelang und gelingt das nicht immer. Es ermutigt jedoch, immer wieder neu zu beginnen. Man(n) ist angewiesen auf das Verständnis des Lieblingsmenschen und so erhöht sich die Chance der Klärung und der Versöhnung. Und es zeigt unverblümt, ob ich selbst das Rüstzeug bringe, damit Anfänge möglich bleiben. Immer wieder, Tag für Tag, Woche für Woche, Jahr für Jahr.

So wurden und werden die guten Zeiten zu sehr guten Zeiten. Lachen, scherzen, streiten, planen, diskutieren und unternehmen sind nie selbstverständlich. Denn das Missverständnis, die Unaufmerksamkeit, die Vergesslichkeit, die Trägheit, die Faulheit und das Ego, sie sind immer da und nützen ihre Chance für Kreislauferhöhungen.

Aufgehen

Mein Lieblingsmensch überrascht mich immer mal wieder neu und nervt mich immer mal wieder neu. Ich weiss, das ist auch umgekehrt so. Und doch ist in mir über die Jahre das Gefühl gewachsen, dass wir zusammengehören.

Dieses Gefühl lebt nicht von mir, sondern von meinem Lieblingsmenschen, der es gut mit mir meint. Und so hat sich bewährt, dass auch ich es gut mit ihm meine und wir uns so in Nähe und Distanz respektieren.

Die Herausforderung ist das Alltägliche, das scheinbar immer Gleiche, das Gewöhnliche, welches auf die Hoch- und Tiefzeiten des Aussergewöhnlichen folgt. Mein Lieblingsmensch ist nicht perfekt, jedoch ganz klar immer wieder aussergewöhnlich. Danke.

Unsere Empfehlungen

Öffentliche Gedenkfeiern für zwei St.Galler Opfer des Nationalsozialismus

Stolpersteinlegungen in der Stadt St. Gallen

Am Donnerstag, 12. Juni 2025, werden in St.Gallen zwei Stolpersteine zum Gedenken an Ostschweizer Opfer des Nationalsozialismus gesetzt. Es handelt sich um die in St.Gallen geborene Martha Wodiunig, die von den Nazis im Rahmen der Euthanisiemorde getötet wurde, sowie um Szloma Sochaczewski, der in ...
Kurt Zaugg: Das «grüne Gewissen» der Kirchen

Kurt Zaugg: Das «grüne Gewissen» der Kirchen

Fast 28 Jahre lang leitete Kurt Zaugg-Ott die Fachstelle des Vereins «oeku – Kirchen für die Umwelt» in Bern. Er war das «grüne Gewissen» und der Ansporn der Kirchen. Der Theologe blickt dankbar zurück – und freut sich auf seine Veloreise nach Assisi.
Dolce Vita für alle

Dolce Vita für alle

Das Tessiner Centro Magliaso bleibt erfolgreich, während viele andere kirchliche Ferien- und Seminarzentren schliessen. Was ist das Geheimnis der Perle am Luganersee? 
Die Geschichte des Eurovision Song Contest

Die Geschichte des Eurovision Song Contest

Was am 24. Mai 1956 unter der Bezeichnung «Grand Prix Eurovision de la Chanson» begann, hat sich im Lauf der bisher 68 Austragungen zum grössten Musikspektakel der Welt entwickelt. Seit 2001 bekannt unter der Bezeichnung «Eurovision Song Contest» (ESC).