Klimaseniorinnen

Als die Schweiz ins Schwitzen kam

von Noemi Harnickell
min
20.09.2025
Diese Woche prüfte das Ministerkomitee des Europarats erneut, ob die Schweiz das Klimaurteil umsetzt. Brigitte Hürlimann erzählt in ihrem neuen Buch «Als die Schweiz ins Schwitzen kam» den Weg der Klimaseniorinnen nach Strassburg.

Am 9. April 2024 schrieb eine Gruppe älterer Frauen Geschichte: Sie verklagten den Schweizer Staat, weil er zu wenig für den Klimaschutz unternahm – und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg gab ihnen recht. «Das Urteil geht binnen Minuten um die Welt: Klimaschutz ist ein Menschenrecht!» So schreibt es die Journalistin Brigitte Hürlimann in ihrem Buch «Als die Schweiz ins Schwitzen kam», das im September erschienen ist und die Erfolgsgeschichte der Schweizer Klimaseniorinnen erzählt.

Frauen von Klimakrise besonders betroffen

Brigitte Hürlimann ist Gerichtsreporterin beim Onlinemagazin «Republik». Ihr beruflicher Alltag besteht zu grossen Teilen aus Gerichtsverhandlungen und dem Lesen von Akten. Aber dieser Fall war besonders. Und er bleibt es bis heute. «Die Dringlichkeit des Anliegens der Klimaseniorinnen wurde mir schonungslos vor Augen geführt», sagt Hürlimann. «Wenn ich die Statistiken und Analysen der Expertinnen sah, lief es mir kalt den Rücken runter.»

Mit ihrer Klage wollten die Klimaseniorinnen Druck auf den Staat ausüben, seiner Verpflichtung nachzugehen und seine Bürger und Bürgerinnen vor den Folgen der Erderwärmung zu schützen.

 

«Als die Schweiz ins Schwitzen kam. Die Klimaseniorinnen» von Brigitte Hürlimann, Cordelia Bähr und Elisabeth Stern, Limmat Verlag.

 

Das Buch stellt in 13 Porträts die Klimaseniorinnen vor. Eine von ihnen ist die Tessinerin Bruna Molinari, eine Einzelklägerin mit dem Geburtsjahr 1941. Molinari zieht die Schweiz gleich doppelt zur Verantwortung: gemeinsam mit dem Verein der Klimaseniorinnen, aber auch individuell. Seit ihrer Kindheit leidet Molinari an Asthma, mit zunehmendem Alter wird der Alltag für sie jedoch immer beschwerlicher. Auch die Sommerhitze setzt ihr zu, die mit jedem Jahr länger und intensiver wird. Bereits bei der geringsten Anstrengung, so heisst es im Arztbericht zuhanden des EGMR, leidet sie unter Atemnot, «was sie daran hindert, in ihren hundert Meter entfernten Gemüsegarten zu gehen. Sie kann weder in die Höhe steigen noch in die nahe gelegene Stadt Chiasso fahren, da die Luftverschmutzung ihre Symptome stark verschlimmert.»

 

Brigitte Hürlimann

Brigitte Hürlimann

Dass den Klimaseniorinnen diese Ausgangslage nicht egal ist, ist in meinen Augen urfeministisch und auch sehr christlich.

Als Frauen sind die Klimaseniorinnen von den zunehmenden Hitzesommern besonders betroffen. Was sie in Strassburg erkämpft haben, kommt jedoch nicht ihnen, sondern den nachfolgenden Generationen zugute. «Wenn alle Länder so weitermachen wie die Schweiz, wird sich die Erde um drei Grad erhitzen», sagt Hürlimann. Das führt zu enormen Risiken, für die alten Frauen und für die nachfolgende Generation. Dass den Klimaseniorinnen diese Ausgangslage nicht egal ist, ist in meinen Augen urfeministisch und auch sehr christlich.»

Demonstrieren statt Kuchen backen

An Molinaris Seite kämpft die Co-Präsidentin der Klimaseniorinnen, Rosmarie Wydler-Wälti, Jahrgang 1950. Bereits als junge Mutter nahm sie mit ihren Kindern an Friedensmärschen und Demonstrationen teil – dies, obwohl viele Menschen in ihrem Umfeld dies als unschicklich betrachteten. Beirren liess sie sich davon jedenfalls nicht. Seit der Anhörung vor dem EGMR im März 2023 bekommt Wydler-Wälti viele Reaktionen auf den Aktivismus der Klimaseniorinnen, darunter auch zahlreiche Hassmails: «Einer schreibt, dass man solche Frauen früher auf dem Scheiterhaufen verbrannt habe. ‹Geht doch Kuchen backen› oder ‹Kümmert euch um eure Kinder und Enkelkinder›, schimpfen andere.» So berichtet Brigitte Hürlimann im Buch. Wydler-Wälti geht nicht auf die gehässigen Botschaften ein: «Sollen sie uns als Hexen bezeichnen. Hexen waren starke Frauen. Das ist ein Kompliment. Und ein Zeichen, dass sie uns ernst nehmen.»

Bruna Molinari sieht in der Arbeit der Klimaseniorinnen eine dringende Notwendigkeit: «Es ist unbedingt nötig, dass wir Alten etwas tun», sagt sie. «Wir sind für die Situation von heute mitverantwortlich. Wir dürfen die Jungen nicht im Stich lassen. Wir müssen dafür sorgen, dass sich die Situation wenigstens nicht verschlimmert.»

 

Europarat: Schweiz macht Fortschritte, aber CO2-Budget fehlt weiterhin

Das Ministerkomitee des Europarats überprüft laufend die Umsetzung des EGMR-Klimaurteils der Klimaseniorinnen. Bei der zweiten Prüfung (15.–17. September 2025) nach der ersten im März 2025 lobte es die Schweiz für ihren umfassenden Rechtsrahmen zur Klimaneutralität bis 2050. Hauptkritik bleibt das Fehlen eines 1,5°C-kompatiblen nationalen CO2-Budgets. Die geplanten 620 Mio. Tonnen Emissionen bis 2050 übersteigen den Schweizer Bevölkerungsanteil um das Dreifache. Das Komitee empfiehlt eine unabhängige Überwachungsstelle.

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