Reformierte Kirche war der Politik voraus

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27.02.2021
1971 trat das Frauenstimmrecht in der Schweiz in Kraft. Die reformierten Kirchen waren der Politik in Sachen Frauenstimmrecht fast neunzig Jahre voraus.

Am 16. März 1971 trat in der Schweiz das Frauenstimm- und -wahlrecht offziell in Kraft. Einen Monat zuvor hatten 65,7 Prozent der Männer in einer Volksabstimmung Ja zum aktiven und passiven Wahl- und Stimmrecht der Frauen gesagt. Es hatte einen Kampf von Jahrzehnten gebraucht, bis die andere Hälfte der Schweizer Bevölkerung an der Urne mitreden durfte.

In der reformierten Kirche hingegen sah dies anders aus: Hier konnten die Frauen in einzelnen Kantonen schon mehr als ein halbes Jahrhundert früher mitbestimmen. Als allererste Kirche in der Schweiz führte die Église évangélique libre de Genève das Frauenstimmrecht ein. Andere Kantonalkirchen folgten, und in Neuenburg, Basel-Stadt, Zürich und Graubünden wurde über die Mitsprache der Frauen in der Kirche öffentlich diskutiert.

Im Laufe des letzten Jahrhunderts folgten die Kantonalkirchen dem Beispiel Genfs. Das kirchliche Frauenstimmrecht bildete gut helvetisch einen föderalistischen Flickenteppich, der bis in die Dörfer reichte. Bern überliess es den Kirchgemeinden, ob sie ihren weiblichen Mitgliedern das Stimmrecht gewähren wollten.

Bundesgericht verhinderte Frauen auf der Kanzel
Auch bei den Ämtern setzte die Emanzipation bei den Reformierten früh ein. Theologiestudentinnen sassen Anfang des 20. Jahrhunderts in den Fakultäten. In den Kirchgemeinden wurden diese jungen Frauen später so geschätzt, dass die Zürcher Kirche bereits 1920 Pfarrerinnen zulassen wollte. Das Bundesgericht monierte jedoch, dass dies rechtlich wegen ihrer fehlenden politischen Wählbarkeit nicht möglich sei. So mussten Frauen über Jahrzehnte mit der Rolle als Pfarrhelferin in den Kirchgemeinden vorliebnehmen. 1963 stellte die Zürcher Kirche die Pfarrerinnen den Pfarrern gleich und ebnete so den Frauen den Weg ins Pfarramt.

Es war nicht so, dass die Kirche die Brutstätte der Emanzipation darstellte. Über Jahrhunderte galt das Gebot des Apostels Paulus, die Frau schweige in der Gemeinde. Und die Diskussion über das Frauenstimmrecht und Frauen im Pfarramt strotzte vor Vorurteilen. Frauen seien zu emotional für Entscheide oder seien als Mütter den Ansprüchen eines Amtes nicht gewachsen, hiess es etwa. Lange Zeit konnten Frauen deshalb eine teilzeitliche Pfarrstelle nur antreten, wenn es in der Kirchgemeinde schon einen männlichen Hauptpfarrer gab.

«Helvetia predigt!»
Anlässlich des 50-Jahr-Jubiläums rufen die Evangelischen Frauen Schweiz dazu auf, dass am 1. August nur Frauen von den Kanzeln predigen sollten. «Helvetia predigt!», so der Slogan der Aktion. Hannah Sahlfeld-Singer war eine der ersten Frauen, die in den Nationalrat einzogen. Die St. Galler Pfarrerin und ihre Familie erlebten, wie hart der Kampf für die Emanzipation war. Ihr Mann fand aufgrund ihres Engagements keine Stelle, sodass sie nach Deutschland auswanderten. Anlässlich des Jubiläums rückt ihr Schicksal wieder ins Interesse der Medien. An die jüngere Generation von Frauen gerichtet, erklärte sie auf «swissinfo»: «Passt auf, haltet an euren Rechten fest. Man fällt schneller die Treppe hinunter, als dass man wieder hochgestiegen ist.»

Tilmann Zuber

50 Jahre Frauenstimmrecht: Hanna Sahlfeld-Singer

Zur Einführung des Stimm- und Wahlrechts für Frauen in einzelnen Kantonalkirchen:
Basel-Landschaft
Basel-Stadt
Luzern
Schaffhausen

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