Frauenstimmrecht: Als die Kirche die Politik überholte

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29.01.2021
Die Schaffhauser Kirche war der Politik voraus. Als das nationale Frauenstimmrecht vor 50 Jahren eingeführt wurde, stimmten die Frauen in den reformierten Kirchgemeinden bereits seit 17 Jahren mit.

Der Weg zum Frauenstimmrecht war im Kanton Schaffhausen steinig und lang. Nicht nur wegen der Männer. Im Jahr 1929 stellt der Katholische Frauenbund in den «Schaffhauser Nachrichten» klar: «Als sittliche Persönlichkeit steht die Frau ebenbürtig neben dem Manne. Aber ihre Natur und ihre Lebensaufgaben sind verschieden. Die nach aussen oft unbeachtete Erziehungsarbeit der Mutter ist dem Staat viel wertvoller als das Eingreifen der Frau in die aktive Politik.»

In den Fünfzigerjahren erlauben immer mehr Gemeinden auch Frauen abzustimmen. Das führt zur ersten Volksabstimmung im Jahr 1958 mit ernüchterndem Resultat. Gerade mal 33 Prozent der Männer stimmen für das Wahlrecht von Frauen. Im Kanton Schaffhausen lehnt jede Gemeinde die Vorlage ab, in Opfertshofen legt nur ein einziger Mann ein Ja in die Urne.

Erst 1967 wird auf kantonaler Ebene erneut versucht, das Frauenstimmrecht einzuführen – vergeblich. Allerdings sind jetzt «nur» noch 55 Prozent der Schaffhauser dagegen. 839 Tage später wagen Schaffhauser Jungpolitiker einen weiteren Vorstoss. Doch auch diesen schmettern die Männer bei niedriger Wahlbeteiligung mit 55 Prozent Nein-Stimmen ab.

Am 7. Februar 1971 folgt schliesslich die Abstimmung auf nationaler Ebene, die den Frauen endlich das Stimm- und Wahlrecht bringt.

Reges Pro und Kontra
Die Schweiz tut sich lange schwer mit dem Stimmrecht für Frauen. Nicht ganz so die reformierte Kirche. Bereits 1904 diskutiert der Schaffhauser Kirchenrat erstmals über gleiches Recht von Mann und Frau. 1919 stellt der Schaffhauser «Kirchenbote» Argumente pro und kontra Frauenstimmrecht zusammen, wie in Band 3 der «Schaffhauser Kantonsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts» zu lesen ist.

Kontra: «Weil viele Frauen bloss leer und oberflächlich schwatzen, unbedacht, rechthaberisch in den Tag hinein reden, so unlogisch, unklar, ja sogar unwahr sind, nehmen die Männer die Frauen im Durchschnitt nicht ernst.»

Pro: «Es ist ein furchtbares Missverhältnis, dass jetzt zwanzigjährige unreife Burschen, die noch nichts sind und leisten und vom Leben lernen über die wichtigsten Landesfragen abstimmen können, während reife, welt- und lebenserfahrene Frauen, die fähig waren, dem Staat tüchtige Söhne und Töchter heranzuziehen, rechtlich kein Wort sagen dürfen.»

Erste Kirchenrätin
Im Jahr 1921 verlangt die Synode eine Änderung der Kantonsverfassung um das Stimmrecht in der Kirche selbstständig zu ordnen und das Frauenstimmrecht einführen zu können. Dieses Postulat scheitert, obwohl bereits in sechs Kantonalkirchen die Frauen stimmberechtigt sind, und setzt sich erst im Jahr 1952 durch.

Weitere 13 Monate später nehmen die reformierten Schaffhauser Männer das kirchliche Frauenstimmrecht an, 17 Jahre vor dem nationalen Stimm- und Wahlrecht.

Bei der Neuwahl der Synode im Jahr 1955 ziehen unter den 96 Abgeordneten erstmals 9 Frauen ins kantonale Kirchenparlament ein. Zwölf Jahre später wird mit der Juristin Hedwig Schudel erstmals eine Frau in den Kirchenrat gewählt. Sie eröffnet 1951 als erste Frau eine Anwaltskanzlei in Schaffhausen und setzt sich für die Gleichberechtigung der Geschlechter ein. «Die Frau darf sich heute ihrer Verantwortung auch für das öffentliche Leben nicht entziehen. Diejenigen Männer und Frauen aber, die glauben, dass damit das Wesen der Frau Schaden leide, unterschätzen den Tiefgang der weiblichen Natur», schreibt sie 1959 in einem Leserbrief.

Vor einem Jahr hält die Schaffhauser az fest: «Als Hedwig Schudel 1971 in Pension geht, tut sie das mit der Genugtuung, zur Einführung des Frauenstimmrechts beigetragen zu haben.»

Kinder, Küche, Kirche
Die Schaffhauser Historikerin Silvia Pfeiffer, die 1997 als erste Frau den Kirchenrat präsidiert, würdigt Hedwig Schudel 2003 in einem Nachruf als «bemerkenswerte Frau». «Hedwig Schudel war überzeugt von der Gleichwertigkeit von Mann und Frau, glaubte daran, dass jeder – Mann oder Frau – seine ganz spezifischen Aufgaben in der Gemeinschaft zu erfüllen hat.» Hedwig Schudel versieht das Amt einer Kirchenrätin bis zu ihrem 68. Altersjahr.

«Der Anfang war gemacht», schreibt Silvia Pfeiffer, «in den Fussstapfen von Hedwig Schudel, dieser sozial engagierten und politisch interessierten Frau, darf ich als Kirchenratspräsidentin und dürfen meine beiden jetzigen Kolleginnen Sabine Dubach und Eva Gysel heute wandeln.»

Auch für Kirchenrätin Sabine Dubach ist das Jubiläum «Fünfzig Jahre Frauenstimmrecht» ein Grund zum Feiern: «Es ist wichtig, im Jubiläumsjahr zurückzuschauen und diejenigen zu würdigen, die sich für die politische und gesellschaftliche Gleichstellung von Frauen eingesetzt haben. Aber die Wachsamkeit von uns Frauen ist weiterhin enorm bedeutsam für unsere Gesellschaft.»

Die Vorreiterrolle der Schaffhauser Kirche für das Frauenstimmrecht schätzt sie nüchtern ein: «Die Schaffhauser Kirche hat oft eine Vorreiterrolle gehabt. Aber diesen speziellen Fall führe ich auch darauf zurück, dass die Männer den Frauen die drei K zubilligten: Kinder, Küche, Kirche.»

Gegen Gewalt an Frauen
Die Schaffhauserin setzt sich seit Jahren für Frauenrechte ein: «Als junge Polizistin bei der Kriminalpolizei kam ich in Kontakt mit Opfern von Gewaltverbrechen. Anfang der Achtzigerjahre verzeichneten wir in der Region viele Vergewaltigungen. Der Verein ‹Arbeitsgemeinschaft Frau & Politik Schaffhausen AFPS› fragte mich an für ein Podium zum Thema ‹Gewalt an Frauen›. Daraus wurde ein zwanzigjähriges Engagement als Vorstandsmitglied bei der AFPS, der Nachfolgeorganisation des Schaffhauser Frauenstimmrechtsvereins.»

1990 übernimmt Sabine Dubach das Co-Präsidium der Frauenzentrale Schaffhausen. Es folgen weitere Engagements in Frauenorganisationen wie dem Frauenhaus und schliesslich wird sie 1997 Kirchenrätin mit den Schwerpunkten Diakonie, Klinikseelsorge und Frauen. «So blieb ich dem Einsatz für Gleichberechtigung und Gerechtigkeit für Frauen bis heute treu», sagt sie.

Aus ihren 24 Jahren als Kirchenrätin zieht sie eine überwiegend positive Bilanz: «Es gab aber auch Situationen, in denen ich mich als Führungsperson beweisen musste.» Zur aktuellen Situation von führenden Frauen im kirchlichen Bereich sagt sie: «Meiner Erfahrung nach sind die Frauen heute anerkannt, sofern sie mindestens dasselbe oder eher etwas mehr leisten als die Männer.»

Adriana Di Cesare

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