Jesus und die Apostel sprechen Dialekt

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18.10.2016
Mundartübersetzungen verbinden die biblischen Geschichten mit dem Alltag der Leute und können zu einem tieferen Verständnis führen. Entstanden aus dem Gedanken der Geistigen Landesverteidigung in den 30er-Jahren, haben sie sich bis heute behauptet.

Die Bibel gilt nicht nur als das meistverkaufte, sondern auch als das am häufigsten übersetzte Werk der Welt. Forscher schätzen die Anzahl der weltweit gesprochenen Sprachen auf 6900. Die Bibel oder Teile davon liegen gemäss der Schweizerischen Bibelgesellschaft bis heute in 2935 Sprachen vor. In der Schweiz existieren auch zahlreiche Dialektfassungen, von «Wallisertitsch» und «Obwaldnerdytsch» über «Luzärndüütsch», «Bärndütsch» bis «Züritüütsch».

In fast jedem Kanton findet sich ein in den lokalen Dialekt übertragener biblischer Text. Diesen Monat kommt die neuste Übersetzung «uf Baaselbieterdütsch» heraus: «Der Guet Bricht: s Johannes-Evangeelium und d Johannesbrief». Es ist nach dem Lukasevangelium, der Apostelgeschichte und den Korintherbriefen des Apostels Paulus das vierte biblische Buch auf Baselbieterdeutsch.

Die Bibel im Alltag verankern
Hansueli Müller koordinierte die Arbeit des siebenköpfigen Übersetzerteams. Dieses setzt sich zusammen aus an Bibel und Theologie interessierten Laien und Mundartspezialisten sowie Theologen. Der Gymnasiallehrer hat über zwanzig Jahre Erfahrung mit der Übersetzung und Bearbeitung von Bibeltexten ins Baselbieterdeutsch. Er wisse von Leuten, die beim Hören oder bei der Lektüre des Mundarttextes eine neue Entdeckung gemacht und zu einem tieferen Verständnis gefunden haben. «Wir räumen den Leuten die Steine aus dem Weg, damit sie den Zugang zum Text finden. Die Mundart bildet unsere eigene Lebenswelt ab. Unser Hauptanliegen ist es, das biblische Wort an diese Erfahrungen heranzubringen. Bei allen Unterschieden gibt es überraschend viele Übereinstimmungen mit dem Alltäglichen, das auch in der Bibel beschrieben wird.» Die grundlegenden menschlichen Fragen und Bedürfnisse blieben bis heute aktuell.

In der Schweiz hat die Mundart eine besondere Bedeutung. Sie stiftet Identität, denn egal ob Uniprofessor oder Verkäuferin im Dorfladen – alle sprechen Dialekt. Und Mundart dient der Abgrenzung, damals als Geistige Landesverteidigung gegen Nazideutschland, heute gegenüber dem vom Kindergarten bis in den Alltag als dominant wahrgenommenen Hochdeutschen. 2010 untersuchte die Uni Zürich 24'000 SMS-Nachrichten. 75 Prozent davon wurden auf Schweizerdeutsch geschrieben.

Ein Stück Heimat für die Soldaten
Auch die Dialektfassungen von Bibeltexten lassen sich bis in die Geistige Landesverteidigung zurückverfolgen. 1936 kam eine berndeutsche Fassung des Lukasevangeliums von Johann Howald heraus. 1939 übersetzte der Oberbaselbieter Bauer und Dichter Hans Gysin erstmals biblische Schriften. Die Weihnachtsgeschichte und Texte aus der Bergpredigt schenkten dann die lokalen Frauenvereine, zusammen mit einem Paar Socken, den Soldaten, die Weihnachten nicht daheim feiern konnten.

Seither gibt die Bibelgesellschaft Baselland regelmässig Dialektübersetzungen biblischer Texte heraus. «Dennoch bleiben diese Bücher Nischenprodukte mit bescheidener Auflage. Vom Johannesevangelium werden tausend Stück gedruckt», sagt Markus Christ, Präsident der Bibelgesellschaft Baselland. Einerseits ist die Verbreitung eines Dialekts begrenzt. Andererseits «ist Dialekt eine mündliche Ausdrucksform», erklärt Hansueli Müller. Um einen schriftlichen Mundarttext besser zu verstehen, helfe lautes Lesen. So kommen Dialektbibeln vorwiegend dort zum Einsatz, wo man sie vorlesen und hören kann: im Gottesdienst, bei Gemeindeveranstaltungen oder in Hauskreisen.

Zwingli «verschweizerte» die Bibel
Ein ähnliches Ziel wie die heutigen Mundartübersetzungen verfolgte schon Zwingli mit seiner Zürcher Bibel. Im Gegensatz zur Lutherbibel berücksichtigte sie die alemannischen Spracheigenheiten, damit die Schweizer Leserschaft die Texte besser verstand. Bereits der Basler Buchdrucker Adam Petri legte 1523 der Bibel des deutschen Reformators eine Wortliste bei: Luthers «tauchen» zum Beispiel übersetzte er mit «tunken» und «darben» mit «armuot leiden».

Die grösste Herausforderung für das Übersetzerteam habe darin bestanden, einen Mittelweg zwischen Texttreue und Verständlichkeit zu finden, erzählt Hansueli Müller. Manchmal hätten sie sich beinahe die Zähne ausgebissen an den überlangen Sätzen des Johannes, an seinen Gedankensprüngen und theologischen Darlegungen. «Bei der oberflächlichen Lektüre fällt es nicht auf, aber wenn man gewisse Stellen übersetzen muss, fragt man sich, um was es hier eigentlich geht.» Doch die Übersetzung interpretiert nicht. Die inhaltliche Auslegung ist Aufgabe der Pfarrerinnen und Pfarrer, wenn sie die Texte in ihrer Predigt verwenden.

Karin Müller / Kirchenbote / 18. Oktober 2016

Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».

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