Protestanten in Russland - Gestern und Heute

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25.10.2022
Pünktlich zur 500-Jahrfeier der Reformation wurde der Lutherischen Kirche in Moskau ihr zentrales Gotteshaus zurückgegeben, nachdem dieses zur Zeit der Sowjetunion als staatliches Eigentum galt. Die Rückgabe der Kirche rief vielen die Präsenz von Protestanten in Russland in Erinnerung.

Von Pfarrer René Hausheer-Kaufmann, Niederurnen

Von den 144 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern Russlands gehören etwa 100 Millionen der Orthodoxen Kirche an und nur ein verschwindend kleiner Teil von ungefähr 3 Millionen den Protestantischen Kirchen. Deutsche lutherische Kaufleute, Handwerker, Soldaten und Techniker zogen schon in den 1520er Jahren an verschiedene Orte des Russischen Reiches. Dort pflegten sie ihren Glauben anfangs noch in Hausgottesdiensten. Das handwerklich-technische Wissen der deutschen Lutheraner wurde geschätzt und so wurde während den nächsten Jahrhunderten deren Ansiedlung gefördert. Zarin Katharina II. (1729-1796), die lutherisch erzogen worden war, förderte den Protestantismus durch die Gewährung der Religionsfreiheit. Nun kamen vermehrt nicht mehr nur Lutheraner, sondern auch Reformierte, Mennoniten, Täufer und andere Protestanten ins Land. 1832 gewährte Zar Nikolaus I. der evangelisch-lutherischen Kirche die volle Anerkennung als Staatskirche und wurde dadurch ihr Oberhaupt. Der Protestantismus hatte sich in Russland damit endgültig etabliert und gehörte als Minderheitskirche zum religiösen Leben des Landes dazu. Das änderte sich durch die Machtergreifung des Kommunismus, besonders durch die brutale Religionsverfolgung Stalins. Russlandweit wurden Kirchen abgerissen oder umfunktioniert, zum Beispiel zu Lagerhallen, Kinos oder Schwimmbädern.

Erst in den 1970er Jahren änderte sich das Klima allmählich wieder. Unter anderem ist dies der Unterzeichnung der Schlussakte von Helsinki zu verdanken, in der es um die Sicherung des Friedens zwischen den Staaten des Warschauer Paktes und den Westmächten ging. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Umbau Russlands in den 1980er und 90er Jahren, gab es eine gewisse Renaissance der Religion. Mit der Vereinnahmung der Russisch Orthodoxen Kirche als Machtinstrument durch Putin kamen besonders jene protestantischen Kirchen unter Druck, die vom Ausland her unterstützt wurden. Der Krieg in der Ukraine hat die Situation allen Kirchen gegenüber, welche nicht die offizielle Lesart vertreten, massiv verschlechtert. Dies kommt zu den normalen Herausforderungen dazu, welchen sich kirchliches Leben in der heutigen Zeit stellt und verstärkt in vielen Gemeinden den Mitgliederschwund. Weit gefasste Anti-Extremismus-Gesetze unterbinden seit wenigen Jahren das Neuanwerben von Mitgliedern, denn aktives Missionieren ist untersagt.