Vor ihnen die Sintflut

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28.02.2022
Mit dem steigenden Meeresspiegel verschwinden ganze Küstenstreifen. Dies trifft in Senegal die Ärmsten. Die riesigen Mangrovenwälder bieten ihnen Schutz und Nahrung.

Das Meer holt sich in Senegals Siné-Saloum-Delta, was es will: die Strände, die Häuser, die Bäume, vieles hat es schon verschluckt – und es rückt immer näher. In Senegal haben sich die Temperaturen seit den 1960er-Jahren um ein Grad Celsius erhöht – und sie werden sich bis Ende des Jahrhunderts um weitere ein bis zwei Grad erhöhen. Der Meeresspiegel wird dadurch gemäss Klimaforschern um mindestens einen Meter ansteigen, was zu immer mehr Küstenerosion führen wird.

Diese Erosion betrifft die ganze Küste Westafrikas, die sich über 6000 Kilometer von Mauretanien bis Kamerun erstreckt. Und sie ist verheerend: Die Infrastruktur und die wirtschaftlichen Aktivitäten sind in den dicht besiedelten Küstengebieten zentriert. Über ein Drittel der Bevölkerung der Länder lebt hier, und rund 50 Prozent der Wirtschaftsleistung werden hier erbracht. Der Klimawandel führt nicht nur zu einem Anstieg des Meeresspiegels, durch die höhere CO2-Aufnahme versauert auch das Meerwasser. Extremwetterereignisse wie Starkregenfälle und Stürme werden häufiger, die Regenzeit wird kürzer, Grundwasser und Böden versalzen.

Aus dem Gleichgewicht
Kein anderer Kontinent ist so stark von der Erderwärmung betroffen wie Afrika. Menschen wie Awa Sarr erleben dies konkret. Die 57-Jährige ist Mutter von fünf Kindern und lebt in der Gemeinde Djirnda im Siné- Saloum-Delta. Sie bestreitet ihren Lebensunterhalt mit der Zucht und dem Verkauf von Austern, Garnelen und anderen Meeresfrüchten.

Das Siné-Saloum-Delta – ein Unesco-Weltnaturerbe – ist ein Hotspot der Biodiversität. Das rund 18'000 Hektaren grosse Gebiet ist Heimat von 400 verschiedenen Arten und umfasst riesige Mangrovenwälder, Feuchtgebiete, Seen, Lagunen und Sümpfe sowie Sandküsten und Dünen, Savannengebiete und Wälder. Mit den steigenden Temperaturen droht dieses Ökosystem aus dem Gleichgewicht zu geraten, was die Lebensgrundlage Tausender Menschen im Delta bedroht.

Insbesondere die intakten Mangrovenwälder wären zentral, um die klimatischen Veränderungen im Delta abzufedern, denn Mangroven sind wahre Champions des Klimaschutzes: Einerseits schützen sie die Küstenbewohner vor Sturmfluten, der Versalzung der Böden und der Küstenerosion. Andererseits sind Mangroven für die Minderung von Kohlenstoffemissionen zentral; sie speichern fünfmal mehr Kohlenstoff als terrestrische Wälder. Doch Stück für Stück wurden die Mangrovenwälder in der Vergangenheit abgeholzt, um sie als Feuerholz zu nutzen.

Die Mangroven zurückbringen
Heks und die lokale Partnerorganisation «Association pour la Promotion des Initiatives Locales» (Apil) unterstützen daher 18 Dörfer im Delta dabei, ihre Mangrovenwälder aufzuforsten und deren Erhalt durch Bewirtschaftungsmethoden langfristig zu sichern. «Früher trennten wir beim Austernsammeln die Wurzeln der Mangrovenbäume mit Messern, sodass diese abstarben», erinnert sich Awa Sarr, seit einigen Jahren Mitglied von «Bol-Boly». Die Frauengruppe ist für die Wiederauorstung der Mangroven zuständig. «Ich habe in den Trainings viel gelernt über das richtige Management natürlicher Ressourcen und über die Techniken zur Aufforstung von Mangroven.»

Unter der Moderation von Apil und Heks handelt jedes Dorf gemeinsam einen Schutz- und Wiederherstellungsplan mit klaren Regeln für die Nutzung aus. Ein gewähltes Dorfkomitee ist für die Umsetzung und die Einhaltung der Pläne verantwortlich. «Die Wiederherstellung und der Erhalt der Umwelt liegen mir am Herzen. Daher beteilige ich mich an der Aufforstungskampagne unserer Mangrovenwälder. Wir züchten die Setzlinge, wählen die geeigneten Standorte, pflanzen sie und überwachen das Wachstum der jungen Bäume», erklärt Sarr.

Um die Mangroven vor weiterer Abholzung zu schützen, pflanzt jedes Dorf zudem auf einer kleinen Fläche schnell wachsende Bäume an, deren Holz als Brennholz genutzt werden darf. Um den Holzverbrauch generell zu senken, fördert das Projekt auch die Verbreitung von lokal produzierten energieeffizienten Öfen.

Heute kann Awa Sarr von der Zucht und dem Verkauf der Meeresfrüchte leben und alle ihre Kinder zur Schule schicken. Sie weiss, dass die Erhaltung der Mangroven zentral ist, um in Zukunft ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Sie hat mit eigenen Augen gesehen, wie sich die Fisch- und Meeresfrüchtebestände in der Region erholt haben. «Ich bin bereit, bei allem mitzumachen, was die Umwelt und unsere Würde bewahrt. Dafür bin ich auch bereit, Opfer zu bringen», sagt sie. Die Natur ist das grösste Kapital der Menschen im Siné-Saloum-Delta, und Awa Sarr will sie daher schützen – auch für die Zukunft ihrer Kinder.

Text: Judith Macchi, Corina Bosshard, Heks; Fotos: Christian Bobst

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