«Kinder tragen keine Schuld»

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15.12.2021
Zwei von fünf Ehen werden in der Schweiz geschieden. Besonders belastend ist das für die gemeinsamen Kinder. Eine Familienberaterin betont jedoch, dass die Familie die Krise mit dem richtigen Umgang bewältigen könne.

Wenn sich Eltern trennen, werde die Vertrauensbasis des Kinds belastet, sagt Jrene Meli, Familienberaterin bei der Perspektive Thurgau. Das Kind könnte daraufhin regredieren, was bedeutet, dass es sich in frühere kindliche Lebensphasen und -weisen zurückzieht. So beginne es beispielsweise, sich erneut einzunässen, oder verlange mehr Körperkontakt. Es könne aber auch mit Wut oder körperlichen Beschwerden wie Bauch- oder Kopfweh reagieren. «Falls eine lange Phase mit Streitigkeiten vorangegangen ist, kann eine Trennung der Eltern aber auch entlasten », sagt Jrene Meli.

Transparent kommunizieren
Die Familienberaterin erhofft sich von Eltern eine altersangepasste Transparenz den Kindern gegenüber. Fakten dürften und sollten den Kindern mitgeteilt werden, beispielsweise: «Die Mama oder der Papa zieht in zwei Wochen aus. Bis dann gehen wir Eltern uns etwas aus dem Weg.» Der Prozess selbst und vor allem die Streitfrage, wer nun «Schuld» sei an der Trennung, soll jedoch nicht mit den Kindern geteilt werden.

Marie Meierhofer – Kinderärztin und Gründerin des «Instituts für das Kind» – benutzte einst das Bild des Baumes: Das Kind ist dabei der gemeinsam «gepflanzte und aufgezogene» Baum, hervorgegangen aus dessen Eltern. Wenn nun der eine Elternteil über den anderen schimpfe, verletze er im eigentlichen Sinne das Kind. «Kinder entfremden sich sehr schnell von einem Elternteil, was es zu vermeiden gilt», betont Meli. Das Kind ergreife sonst Partei und opfere somit einen Elternteil, um sich aus diesem Dilemma befreien zu können.

Sicherheit geben
Trennung und Scheidung bedeuteten eine grosse Krise. Das Elternpaar sei selbst in einer emotionalen Ausnahmesituation und könne den Kindern nicht mehr die gewohnte Sicherheit und Stabilität geben. Doch genau in dieser Phase bräuchten Kinder die Gewissheit, dass die Eltern trotz Trennung ihre Eltern bleiben. «Die Kinder tragen keine Schuld, dass sich die Eltern nicht mehr lieben.» Grundsätzlich rät Meli dazu, das Tempo raus-, dafür eine Beratungsperson reinzunehmen.

Die Perspektive Thurgau ist konfessionell neutral, blickt aber auf eine langjährige Zusammenarbeit mit der kirchlichen Erwachsenenbildung und dem Tecum zurück. «Wir teilen die Ansicht, dass bei getrennten Eltern und deren Kindern eine grosse Not vorhanden ist. Mit der Zusammenarbeit können wir Ressourcen bündeln und mehr betroffene Menschen erreichen.»

«Gemeinsame Kinder, getrennt lebend»: 26.01 und 16.02. Aufbaukurs: 14./28.03. Anmeldung: keb@kath-tg.ch

 

(Jana Grütter)

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