«Ich will nicht in der Jammerschleife verharren»

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14.09.2021
Mona Petri ist bekannt durch ihre Rollen im Kino und Fernsehen. Daneben führt die Schauspielerin ein zweites Leben als Pflegerin in einem Heim. Petri über die Lebensfreude, das Sterben und wie man aus der Jammerschleife herauskommt.

Mona Petri, Sie sind eine der bekanntesten Schauspielerinnen in der Schweiz. Daneben arbeiten Sie noch in der Alterspflege. Warum?
Die Arbeit passt zu mir, sie ist das Richtige für mich. Einer der Auslöser war, dass meine Grossmutter pflegebedürftig wurde. Ich hatte eine enge Beziehung zu ihr, es störte mich extrem, dass ich ihr nicht mehr helfen konnte. Ich wollte diese Arbeit nicht allein den Pflegerinnen im Heim überlassen.

Was gibt Ihnen die Arbeit mit älteren Menschen?
Ich trete gerade mit Vera Schweiger, einer 80-jährigen Kollegin, auf. Das ist wunderschön, denn sie hat mir ein halbes Leben voraus. Sie weiss Dinge, von denen ich keine Ahnung habe. All dies schwingt in ihrer Stimme mit.

Sie meinen die Lebenserfahrung?
Nicht nur. Die Begegnung mit älteren Menschen gibt mir viel, da ich mich so mit der Endlichkeit, dem Sterben und dem Tod auseinandersetze. Der Kontakt mit Menschen, die im letzten Kapitel ihres Buches angekommen sind, schenkt einem die unbezahlbare Gewissheit, dass es ist, wie es ist. Man darf in aller Ruhe sagen, so war mein Leben. Wenn man jünger ist, wird man ständig von Unruhe und Zweifeln erfasst. Permanent fragt man sich, ob man genügt und was man verändern sollte.

Macht der Einblick ins letzte Kapitel des Lebens demütig und dankbar?
Auf jeden Fall.

Und macht der Umgang mit dem Tod gläubig?
Mir fehlen etwas das Talent und die Bildung für das Christliche – da muss ich passen. Meine jüngere Schwester ist letztes Jahr gestorben, mit 40 Jahren. Wir haben sie auf ihrem letzten Weg begleitet. Ich erlebe das Sterben als einen Ort, wo sich neue Fenster und Türen öffnen für den Eingang in etwas Grösseres. Ich fühle mich als ganz kleiner Teil mit etwas Grösserem verbunden. Diese Haltung findet sich doch in vielen Religionen und bei vielen Gläubigen.

Verpasst man etwas, wenn man Angehörige nicht pflegt?
Ich glaube schon. Der Tod meiner Schwester war für alle, die Kinder, den Mann und die Eltern, ein wahnsinniger Schicksalsschlag. Zuletzt pflegten wir sie zuhause. Die Kinder haben den kranken und den toten Körper der Mutter erlebt. Sie haben bei der Pflege mitgeholfen, ich habe ihnen beispielsweise gezeigt, wie sie die Mundpflege machen können. Diese Nähe nimmt die Angst. Ich bin überzeugt, dies hilft, den Schicksalsschlag zu verarbeiten und zu verstehen, dass Krankheit und Sterben zum Leben gehören. Wir haben alle das Gefühl, dass die Schwester jetzt gar nicht so weit weg ist.

Durch die Pflege kommt man zusammen?
Ja, auch Kinder können der Mamma in der Pflege etwas Gutes tun. Man weiss ja gar nicht, wie man sonst Zärtlichkeit und Liebe zeigen kann, die Mamma liegt da, die Augen geschlossen und sagt nichts mehr. Ich glaube, man macht sich das Leben schwer, wenn man dies nicht tut.

Gerade der Tod von jungen Menschen ist ein harter Schicksalsschlag. Kommt man je darüber hinweg?
Das lässt sich schwer abschätzen. Die gute Nachricht ist, es macht einen grossen Unterschied, wie man vorher zusammengelebt hat, wie friedvoll man war, ob man wenig zu bereuen hat, und wie mutig man war, das auszudrücken, was man auf dem Herzen hatte. Unser Schicksal, sterblich zu sein, ist eine Zumutung, die wir jedoch tragen können. Dafür sind wir Menschen auch gemacht. Was es unerträglich macht, ist all der unnötige Mist.

Unnötiger Mist?
Ja, wenn man sich über Unnötiges streitet, voller schlechter Gefühle und Neid ist oder glaubt, etwas im Leben versäumt zu haben. Das ist zermürbend. Verbitterte Leute haben es schwerer zu sterben.

Fällt es den einen leichter zu sterben als den anderen?
Ja, eine gewisse Bescheidenheit und Demut sind hilfreich, gerade wenn die Kräfte abnehmen und man loslassen sollte. Toll ist es, wenn man das Quäntchen Humor und die Leichtigkeit behält und sich nicht ständig als Zentrum des Universums wahrnimmt. Kurz: wenn man mit sich und den anderen im Einklang steht. Eindrücklich war dies bei meiner Schwester. Sie starb mit 40 Jahren und konnte trotzdem sagen, mein Leben war gut, ich habe gelebt, was ich leben wollte, liebte, so viel ich konnte, und ich habe Freunde. Deshalb ist es gut. Meine Schwester konnte mit so viel Grandezza und ohne Bitterkeit gehen. Das hat damit zu tun, wie man lebt, sich öffnet und verbindet, und das lebt, wofür man bestimmt ist. Wissen Sie, wir haben vieles nicht in der Hand, aber wir sind doch dafür verantwortlich, wie freundlich oder unfreundlich wir sind.

Wie haben Sie die Corona-Pandemie im Pflegheim erlebt?
Für die Angehörigen waren die Einschränkungen extrem schwierig. Sie konnten ihre Liebsten für lange Zeit nicht besuchen. Viele der Bewohnerinnen, die an Demenz erkrankt sind, haben sich jedoch rasch daran gewöhnt. Natürlich war die Freude gross, als die Besuche wieder möglich waren.

Sie klingen entspannt.
Vieles ist eine Frag der Einstellung: Es gibt Dinge, die sind notwendig. Man kann sich darüber aufhalten, jammern und schimpfen. Oder man fragt sich, was ist das Beste, das ich aus dieser Situation machen kann? Ich will nicht in dieser Jammerschleife verharren.

Zur anderen Seite Ihres Lebens, der Schauspielerei. Was lernt man von den Figuren auf der Bühne?
Empathie, sich zu öffnen für die Varianten des Lebens. Ich kann auf der Bühne oder im Film in ein anderes Leben und Schicksal schlüpfen. Diese Erweiterung des Horizontes ist ein wahnsinniger Luxus.

Welche Rolle hat Sie besonders beeindruckt?
Immer die momentane, das aktuelle «Baby». Für mich gibt es nicht die eine Rolle. Es ist gerade die Vielfalt der Rollen, die zeigt, wie unendlich vielfältig das Leben ist und damit die Möglichkeiten von Glück und Unglück und von Gelingen und Scheitern. Das zeigt mir zwei Dinge: Ich bin zufällig jene, die ich bin. Und der Weg zum anderen ist nicht weit.

Sie haben starke Frauen verkörpert. Was macht Menschen zu starken Persönlichkeiten?
Ihre Verlässlichkeit, ihre Hartnäckigkeit, nicht gleich wegzubrechen, wenn es unbequem wird, und dass sie für Werte eintreten. Verlässlichkeit ist gerade in unserer schnelllebigen Zeit etwas Grosses und selten zu finden.

Sie haben im Film «Verliebte Feinde» die Frauenrechtlerin Iris von Rothen gespielt. Von Rothen war eine Vorkämpferin für das Frauenstimmrecht in der Schweiz. Sind Frauen heute gleichberechtigt?
Nein, noch nicht. Gerade was die Löhne in der Pflege, einem klassischen Frauenberuf, betrifft. Oder was die Care-Arbeit angeht, bei der die Frauen immer noch die Hauptlast tragen. Es wäre doch schön und gewinnbringend, wenn alle diese Aufgabe gemeinsam tragen würden. Da liegt noch ein weiter Weg vor uns. So etwas setzt man nicht in paar Generationen um. Aber es bewegt sich, und das ist gut.

Welche Rolle möchten Sie noch spielen?
Eine bestimmte Rolle gibt es nicht. Es ist mein Lebensmotto, mich über das zu freuen, was sich bietet, und meine Rolle mit Herzblut zu spielen. Ich freue mich, wenn etwas an mein Ufer geschwemmt wird, und ich diese Aufgabe so reich und wahrhaftig wie möglich erfüllen darf. Das gilt für all meine Lebensbereiche. Ich hatte noch nie einen Lebensplan, vieles ist ja zufällig.

Interview: Tilmann Zuber, kirchenbote-online

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