Fastenzeit: «Es geht darum, Regeln infrage zu stellen»

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29.01.2021
Synodalrat Florian Fischer und Tobias Hoenger von der Kantonalkirche sprechen darüber, welchen Input die Fastenzeit geben kann und weshalb die Kirche zu politischen Fragen Stellung nehmen sollte.

Am Aschermittwoch beginnt die Fastenzeit. Hat diese einen Einfluss auf Sie?
Fischer: Fasten ist eher eine Tradition der katholischen Kirche, die wir als Reformierte so nicht kennen. Die Zürcher Reformation fing ja damit an, dass Huldrych Zwingli zur Fastenzeit beim Wurstessen bei Christoph Froschauer dabei gewesen sein soll. Ob er auch mitgegessen hat oder nicht, darüber scheiden sich die Geister. Sicher ist jedoch, dass er damit Regeln infrage stellen wollte. Darum geht es für mich in der Fastenzeit.

Hoenger: Aus dem reformierten Kontext geht es für mich in der Passionszeit darum, dass wir unseren eigenen Lebensstil reflektieren und gegebenenfalls anpassen und dass wir uns beispielsweise mit Menschen solidarisieren, die direkt von den Klimaauswirkungen betroffen sind, die wir in Europa verursachen. Ich habe mein Verhalten verändert, indem ich kein Fleisch mehr kaufe, denn die weltweite Fleischproduktion verursacht riesige CO2-Emissionen. Ich esse zwar noch Fleisch, wenn ich ins Restaurant gehe oder bei Freunden bin, aber ich kaufe für mich zu Hause kein Fleisch mehr ein.

Plakativ gesagt rückt die Fastenzeit bei Ihnen die Klimaveränderung ins Bewusstsein?
Hoenger: Nicht nur privat. Die reformierteLandeskirche unterstütztdie ökumenische Kampagne, die diesesJahr mit dem Thema «Klimagerechtigkeit– jetzt!» das Klimabewusstseinals zentrales Anliegen hat.Das Ziel ist es, das Leid der Hungerndenund Benachteiligten dieser Weltins Bewusstsein zu rücken. Eine regionaleProjektgruppe in Luzern organisiertfür Kirchgemeinden und PfarreienErdbeertürme. Zudem planenwir einen Stationenweg durch dieStadt Luzern mit Geschäften und Orten,bei denen der Zusammenhangzwischen ökologischen, sozialen undentwicklungspolitischen Themen beider Ernährung erlebbar sein soll.

Fischer: Die Erdbeertürme sollen anregen, aus Solidarität zu anderen, das eigene Handeln zu reflektieren. Weshalb ausländische Mangos kaufen, was nicht besonders klimafreundlich ist, wenn man Erdbeeren aus einheimischer Zucht geniessen kann?

Demnächst stehen wieder einige eidgenössische Abstimmungen an. Wird und darf die reformierte Landeskirche politisch mitreden?
Fischer: Kirche ist Teil der Gesellschaft.Sie kann Impulse geben, alleinschon aus dem Evangelium heraus,das sich stark macht für die Gerechtigkeit,die Bewahrung der Schöpfungund die Solidarität. Kirche soll am gesellschaftspolitischenLeben mitwirken.Wir sind eine Volkskirche, dieverschiedene Meinungen vertritt undzulässt, da es bei allen Themen unterschiedlicheMeinungen geben kann.

Hoenger: Kirche muss im Dialog bleiben und soll einen Beitrag zur Erhaltung des Friedens leisten. Deshalb dürfen wir gesellschaftspolitisch mitreden und nicht nur zuhören.

Welche Erfahrungen für die Kirche ziehen Sie aus Corona? Wird vermehrt in die digitale Welt investiert?
Fischer: Aufgrund von Coronawurden viele kirchliche Mitarbeitendeins kalte Wasser geschmissen.Viele sind aber auch auf den Geschmackgekommen, sich mit der digitalenWelt zu beschäftigten, habenPodcasts aufgenommen, Gottesdiensteübertragen oder auch kleineDinge gemacht wie zur Osterzeit Lichterins Fenster gestellt oder zu Silvesteraufgerufen, Kerzen im Gedenkenan die bisherigen Covid-19-Todesopferanzuzünden. So viele Aktivitätensind ein gutes Zeichen.

Hoenger: Wir wollen den Dialog weiter aufrechterhalten und stärken. Natürlich hat sich die Arbeitsweise im Vergleich zur Zeit vor Corona geändert. Früher hat man an Veranstaltungen persönliche Gespräche gesucht. Jetzt werden diese über Zoom und Teams geführt. Man vermisst zwar den zwischenmenschlichen Kontakt, aber es funktioniert.

Was sind die Ziele der Grossgruppen-Konferenz, die im Februar stattfindet?
Fischer: Nach den vielen Gesetzesrevisionen,die wir in den vergangenenJahren gemacht haben, gehtes jetzt in der Erarbeitung einerneuen Kirchenordnung wieder umdas kirchliche Leben,um Inhalte undderen Ausgestaltung. Wir veranstaltendiese Konferenz, um in Dialog mitden Mitgliedern zu kommen. Als dieletzte Kirchenordnung in den 1990ernverfasst wurde, war die Zeit eine ganzandere.So müssen wir uns und dieTeilnehmenden fragen, welche Funktionenunsere Kirche in Zukunft habensoll, wie und wo Rituale gefeiertwerden und was man sich von der Kirchewünscht.

Hoenger: Für den Bildungsbereich stehen insbesondere Fragen zum Religionsunterricht im Vordergrund. Nach welchen Zielen und Werten richten wir uns oder was sollen wir anbieten?

Interview: Carmen Schirm-Gasser

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