Seelsorge im Grenzfall

min
28.12.2020
Immer mehr Menschen wählen für ihren Tod die Hilfe von Exit. Das Positionspapier des Pfarrkapitels hält fest, dass Pfarrerinnen und Pfarrer Menschen beim assistierten Suizid beistehen dürfen. Dies im Bewusstsein, dass es sich um einen Grenzfall handelt.

2018 nahmen sich in der Schweiz 1176 Personen durch einen assistierten Suizid das Leben. Gegenüber 2010 hat sich diese Zahl verdreifacht. Inzwischen fordert der Tod mit der Hilfe von Sterbeinstitutionen auch die Kirchen heraus. Pfarrer und Pfarrerinnen sind in der Seelsorge immer öfters damit konfrontiert, ob sie die Betroffenen bis an ihr Lebensende begleiten sollen. Und dieser Wunsch wirft Fragen auf.

2018 ging die Reformierte Kirche Bern-Jura-Solothurn in die Offensive und legte ein Positionspapier vor. Pfarrer und Pfarrerinnen sollen Sterbewillige bis ganz zuletzt begleiten dürfen. Sie sind jedoch nicht dazu verpflichtet. Auch wer die Sterbehilfeorganisation Exit wähle, habe «Anrecht auf unsere Seelsorge», erklärte Synodalratspräsident Andreas Zeller gegenüber den Medien.

Im letzten Jahr hat das Pfarrkapitel der Reformierten Kirche Kanton Solothurn nachgezogen. Das Positionspapier «Seelsorgerlich begleiten biszum Ende», das vom Pfarrkapitel verabschiedet wurde, dient den Gemeindegliedern als Orientierungshilfe. In weiten Teilen basiert das Dokument auf der Position der Berner.

Ausdruck der Hilflosigkeit
In der Praxis werde man zunehmend mit dem assistierten Suizid konfrontiert, bestätigt Uwe Kaiser, Dekan des Pfarrkapitels. Sei es bei Begleitung und Abdankungen von Menschen, die diesen Weg wählten, oder im Gespräch mit ihren Angehörigen. Auch im Krankenhaus sei dies immer wieder ein Thema, sagt Leni Hug, Spitalseelsorgerin am Kantonsspital Olten. Doch oft verschwindet es wieder. Erhalten die Patienten eine schlechte Diagnose, so ist der Ruf nach Exit ein Hilfeschrei und der Ausdruck einer grossen Angst. «Wenn man jedoch darüber redet und die Ärzte die nächsten Schritte und Möglichkeiten aufzeigen, ist dieser Weg für viele kein Thema mehr», sagt Leni Hug.

Das bestätigt auch das Positionspapier: Es habe sich oft gezeigt, dass Menschen nicht mehr ihr Leben mit der Hilfe von Exit beenden wollen, wenn sie die Möglichkeiten von Palliativ Care kennen. Die Kirchen sollten sich dafür starkmachen, dass diese bekannt gemacht werde. Das Positionspapier betont zudem die unantastbare Würde des Menschen, die bis zum Tod besteht, und hinterfragt die Fokussierung auf Selbstbestimmung. Eine solche Sicht verschleiere, dass Selbsttötung oft Ausdruck grösster Einsamkeit und tiefer Unfreiheit sei, und vergesse, dass es Angehörige gebe, denen die Entscheidung der Sterbewilligen zugemutet werde.

Immer nur ein Grenzfall
Das Papier macht klar, dass der assistierteSuizid für die reformierte Kircheimmer nur einen Grenzfall darstellt.Grundsätzlich bleibe jedes Leben, dasvon Gott gegeben wurde, lebenswert.«Assistierter Suizid kann aus biblischtheologischerSicht keine Option sein.Jedoch: Die Anerkennung des Wunschesnach einem assistierten Suizidist auch aus biblisch-theologischerSicht nicht ganz auszuschliessen», beschreibtdas Papier dieses Dilemma derPfarrschaft. «Die Seelsorge sollte in allenLebenslagen möglich sein. Jemandenzu begleiten, der mit Hilfe einerSterbehilfeorganisation in den Tod geht, ist eine seelsorgerliche Extremsituationund es soll nicht so verstandenwerden, dass die Kirche grundsätzlichgrünes Licht dazu gibt», meint dazuUwe Kaiser.

Wenn jemand mit Exit gehen will, sollte er die Angehörigen nicht vor vollendete Tatsachen stellen, sagt Leni Hug. Deshalb fragt die Spitalseelsorgerin jeweils, ob die Betroffenen den Wunsch mit den Angehörigen besprochen hätten. Nicht um jemanden vom Entscheid abzubringen, sondern «um die Angehörigen mit ins Boot zu holen».

Auch für Pfarrer Uwe Kaiser sind die Angehörigen wichtig, denn der Entscheid, sich das Leben zu nehmen, betrifft auch sie. «In Ausnahmen ist dieser Entscheid zu verstehen, aber er ist immer schwierig und es braucht Gespräche, um auch andere Möglichkeiten in Betracht zu ziehen.»

Mit dem Tod auseinandersetzen
«Wir Menschen sind nun einmal sterblich und man muss sich mit dem Tod auseinandersetzen», sagt Uwe Kaiser. Es gehe darum, einen würdevollen Weg ins Alter und in den Tod zu finden. Heute hätten die Sterbehilfeorganisationen in den Medien eine grosse Plattform. «Der würdevolle Weg heisst nicht, einfach den Schalter umzulegen.» Deshalb ist es dem Pfarrkapitel wichtig, im Vorwort die christliche Sicht auf Leben, Tod und Auferstehungshoffnung festzuhalten. Dies mit einem Zitat von Kirchenvater Augustinus: «Auf dich hin, Gott, sind wir geschaffen, und unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir.»

Tilmann Zuber

Unsere Empfehlungen

69-Jährige im neuen Look

69-Jährige im neuen Look

Das «Wort zum Sonntag» gehört zu den ältesten Sendungen von SRF. Jetzt wurde ihr Auftritt optisch überarbeitet. Über die alte Sendung in neuem Glanz.
«Ich hätte das nicht für möglich gehalten»

«Ich hätte das nicht für möglich gehalten»

Seit einem Jahr herrscht Krieg in der Ukraine. Aus diesem Anlass rufen die Kirchen in der Schweiz zum Gebet auf. Rita Famos, Präsidentin der Evangelisch-reformierten Kirche der Schweiz (EKS), über die Zeitenwende, das Gebet und den Einsatz von Waffen.
Ein moderner Ablasshandel?

Ein moderner Ablasshandel?

Kabarettistin und Slam-Poetin Patti Basler über Spenden, Steuern und den letzten Urnengang. Absolution gebe es nicht, sagt die Schweizer Sprachkünstlerin, weder von der Kirche noch von Mutter Erde.