«Ich realisierte, dass Wut nichts bringt»

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18.06.2020
Black Lives Matter-Proteste treiben tausende von Menschen auf die Strassen. Die reformierte Pfarrerin Nadine Manson mit madagassischen Wurzeln erzählt über ihre Rassismuserfahrungen in der Kirche und wie sie damit umgeht.

Nadine Manson, äussern sich Menschen Ihnen gegenüber als schwarze Pfarrerin rassistisch?
Ja. Ich erinnere mich beispielsweise an meine Zeit als Pfarrerin in Frankreich zurück. Angehörige einer Trauerfamilie sagten meinen Kollegen, dass sie für die Beerdigung ihres Vaters nicht die schwarze Pfarrerin wollten. Diese Menschen kannten mich nicht, hatten sich nicht einmal mit mir unterhalten.

Sie arbeiteten acht Jahre als Pfarrerin in Biel. Erlebten Sie dort ähnliches?
Ja, aber den Rassismus erlebte ich in Frankreich viel stärker als hier in der Schweiz. Trotzdem gab es in Biel immer wieder Situationen, in denen ich auf meine Hautfarbe reduziert wurde. Menschen etwa fragten mich erstaunt, wo ich so gut Französisch gelernt habe. Oder reagierten bei einer ersten Begegnung überrascht, nachdem wir uns zuerst am Telefon unterhalten haben. Manchmal ist der Rassismus nicht böse gemeint. Ich finde, es hängt immer von der Haltung des Menschen ab, der etwas sagt.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Aufgrund meines Aussehens werde ich oft gefragt, woher ich komme. Für die einen ist diese Frage schon rassistisch – was ich auch nachvollziehen kann, denn man muss sich ständig erklären und wird auf sein Äusseres reduziert. Aber ich mache meistens die Erfahrung, dass mir Menschen die Frage nach meiner Herkunft aus Neugierde stellen. Sie sind an meiner Geschichte interessiert. Deshalb verärgert mich die Frage nicht.

Wie reagieren Sie auf direkten Rassismus?
Als Kind machte mich dies traurig. Damals erlebte ich zum ersten Mal in meinem Leben Ungerechtigkeit wegen meiner Hautfarbe. Ich wollte Klassensprecherin werden, doch meine Klassenkameraden verhinderten dies mit dem Argument, dass ich schwarz bin. Als Teenager schlug die Traurigkeit in Wut um. Dann begann ich viel über Rassismus zu lesen und realisierte, dass meine Wut nichts bringt. Wenn immer möglich, suche ich mit den Menschen das Gespräch. Manchmal ist ein Austausch aber sinnlos, da diese Personen gar nicht zu einem Gespräch bereit sind. Heute will ich verstehen, warum Menschen rassistisch handeln oder rassistisch denken.

Was muss geschehen, damit der Rassismus aus der Welt geschafft wird?
Wir müssen miteinander reden. Wir sollten einander sagen, wenn uns eine Frage oder eine Formulierung verletzt – auch wenn diese vielleicht nicht böse gemeint ist. Ich kann nachvollziehen, dass viele Menschen schwarzer Hautfarbe, aber auch Latinos, Asiaten, Araber die Geduld verlieren, weil sie immer wieder auf ihre Herkunft angesprochen und auf Stereotypen reduziert werden.

Ist die Institution Kirche frei von Rassismus?
Während meinen acht Jahren in der Synode der Berner Kantonalkirche ist mir nie Rassismus begegnet. Das bedeutet mir sehr viel. Ich empfand es auch als starkes Zeichen, dass ich als schwarze Pfarrerin für eine weisse Gemeinde angestellt worden bin. Aber natürlich ist auch die Kirche nicht perfekt.

Kann Kirche etwas gegen Rassismus bewegen?
Ich glaube, die Institution Kirche kann ein Vorbild sein. Blicken wir auf Amerika, so gibt es dort auch presbyterianische Kirchen, in denen Schwarze und Weisse gemeinsam Gottesdienst feiern. Natürlich ist das keine Mehrheit und ich will mit diesem Beispiel das Rassismus-Problem in den USA nicht herunterspielen. Für uns Reformierte hat jeder Mensch, egal welcher Farbe, welcher Herkunft, welcher Schichtzugehörigkeit einen Wert. Diese Haltung, den Menschen als Individuum zu schätzen, kann uns in meinen Augen helfen.

Nicola Mohler, reformiert.info

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