Corona-Krise: «Wir sprechen heute mehr Menschen an»

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26.05.2020
Gibt es etwas Positives an der Corona- Pandemie? Sie löste zahlreiche Initiativen und Lernprozesse aus. Die Verantwortlichen der Kirchgemeinden nutzen vermehrt digitale Kommunikation, schufen neue Angebote und sogar ein Erfolgs-Video.

Langsam scheint, als würde Normalität zurückkehren. Zeit also, Fazit zu ziehen, wie Corona das Leben in den Kirchgemeinden verändert hat, was sich bewährt hat und was nicht, und was bleiben wird. Eine Umfrage bei den Kirchgemeinden zeigt, dass zahlreiche Ideen gesammelt, Angebote geschaffen und in Windeseile umgesetzt wurden. Nicht überall, aber vielerorts.

«Die Bedürfnisse sind je nach Gemeindesituation sehr unterschiedlich », sagt Jonas Oesch, Pfarrer in Horw. «Während einige Pfarrpersonen dem Vernehmen nach eher ruhige Tage verbringen, ist die Corona-Zeit wohl die intensivste Zeit, die ich als Pfarrer bisher erlebt habe.» Und immerhin ist er auch schon seit zwölf Jahren im Amt.

Zu Beginn war er primär mit Krisenmanagement beschäftigt. Während in anderen Dörfern Vereine die Nachbarschaftshilfe organisierten, gab es in Horw dieses System nicht. Also schloss sich die reformierte Kirche vor Ort mit der katholischen Kirche und der Gemeinde zusammen, um gemeinsam eine zentrale Stelle aufzubauen, die Hilfesuchende mit freiwilligen Helfern verknüpft.

Via diese Plattform meldeten sich innert weniger Tage rund hundert Freiwillige, die in den folgenden Wochen vermittelt wurden. Ein «ökumenischer » Mahlzeitendienst belieferte, in Zusammenarbeit mit zwei örtlichen Restaurants, täglich zwischen 50 und 80 Personen der Risikogruppe, an Ostern gar 200. Gleichzeitig hat man den Kontakt mit den Kirchgemeindemitgliedern intensiviert. Es wurde versucht, alle über 65-Jährigen in der Gemeinde persönlich anzurufen.

Eine Aktion folgte der nächsten
«Wir versuchen Bedürfnisse wahrzunehmen und die Möglichkeiten zu nutzen, die wir noch haben. Not macht bekanntlich erfinderisch», sagt Jonas Oesch. So rief man unter dem Motto «wachet und betet» eine 62-Stunden- Aktion ins Leben – eine Alternative zu den Gottesdiensten in der Karwoche. Von Gründonnerstag bis Ostersonntag konnte jeder, der wollte, eine Stunde lang wachen, das Feuer vor der Kirche am Leben erhalten, reden oder beten.

Vom positiven Feedback motiviert, wurden nach den Frühlingsferien weitere Ideen umgesetzt. Vor der Kirche stellte man Blumenbeete auf, die jeder nach Belieben bepflanzen kann. Das Innenleben in der Kirche verändert sich laufend. Besucher können ihre Sorgen und Wut auf Zettel schreiben und diese an ein Kreuz hämmern.

Als bekannt wurde, dass längere Zeit keine Veranstaltungen stattfinden, wurde eine 40-tägige Gemeindeexpedition durch die Bibel gestartet. Die Idee dazu: Sich täglich 10 bis 15 Minuten lang Zeit nehmen und das jeweilige Kapitel aus dem Buch «Expedition zum Ich» des reformierten Theologen Klaus Douglass lesen. Dadurch befasst sich der Leser mit 40 zentralen Bibelstellen, existenziellen Grundfragen des Lebens und der eigenen Persönlichkeit. Rund 70 Interessierte machen derzeit mit. «Jetzt haben wir endlich die Zeit dafür», meint Jonas Oesch.

Hohe Zuschauerzahl bei TV-Gottesdiensten
Das Leben stand also alles andere als still. An Ostern setzten die evangelisch-reformierte Landeskirche des Kantons Luzern, die römisch-katholische Landeskirche und die christkatholische Kirchgemeinde gemeinsam auf ökumenische Fernsehgottesdienste. Tele 1 hat diese übertragen. Im Anschluss gab es die Möglichkeit, telefonische Seelsorge in Anspruch zu nehmen. Über 10 000 Zuschauer verzeichnete Tele 1, wie Michi Zimmermann, Projektleiter der Fernsehgottesdienste, sagt. Selbst der TV-Sender sei über diese Einschaltzahlen überrascht gewesen.

Geschichten auf YouTube
War für viele bislang digitale Kommunikation fremd, hiess das Motto neu: «learning by doing». Auch für Christoph Thiel, Pfarrer in Hochdorf. Mittlerweile hat er 19 Bibelgeschichten für Kinder initiiert und diese auf YouTube hochgeladen. Über 300 Mal wurden sie angeklickt. «Ein Erfolg, mit dem ich nicht gerechnet hatte», sagt er. «Es hat sehr viele Menschen gefreut, dass wir so kreativ wurden.»

Eine Mutter, die in derselben Überbauung wohnt wie er, hatte ihn auf die Idee gebracht. Sie erzählte, sie habe sogar die Hausaufgaben der Kinder unterbrochen, als Peach Weber im TV vorlas, da die Kinder diese Geschichten so toll fanden. Also suchte Christoph Thiel seine Lieblingsgeschichten aus der Bibel heraus. Und er fand mit Hanny Seitz, einer pensionierten Schauspielerin, eine professionelle Sprecherin. Für ihn war klar: «Da die Kinder den Religionsunterricht nicht mehr besuchen können, wollen wir ihnen einen Input geben, der sie mit uns verbindet, das geht am besten über Geschichten.»

Erfolgsschlager Oster-Video
Wie es der Zufall so wollte, entstand in der Hochdorfer Kirche auch noch ein Video, das zum Erfolgsschlager wurde. Es war früh am Ostermorgen, als Pfarrer Thiel an den Flügel der Kirche sass und den Choral «Christ ist erstanden» spielte. Die Sigristin nahm spontan das Konzert auf. Sie zog mit ihrem Handy durch die Kirche, filmte die Osterkerze, sog die Stimmung auf, immer mit der Musik im Hintergrund, ohne den Pianisten zu filmen. So entstand ein 1:50-Minuten-Film.

Die beiden Newcomer-Filmemacher entschieden, das Video als Osterbotschaft an ihre Kontakte weiterzuleiten. Diese waren so begeistert, dass sie ihrerseits den Ostergruss hundertfach in alle Welt verteilten. Eine Verbreitung der Osterbotschaft auf ungewöhnliche Weise. Und bestes Marketing, das keinen Rappen kostete.

Auch in Meggen war man aktiv. Begonnen hatte alles damit, dass Sozialdiakonin Rosemarie Reintjes einen «Aktionsplan Kinderkirche gegen die Langeweile» via E-Mail versandte. Darin hatte sie unter anderem Bastelanleitungen gepackt, Familienandachten, Gebete und Segen für die Kinder oder Bilderbuchkinos.

«Ich erhielt sehr viele positive Rückmeldungen», so Rosemarie Reintjes. Also beschloss sie, von nun an wöchentlich einen Newsletter zu verschicken. «Die Strukturen und Beziehungen, die bereits bestanden, konnten wir damit sogar ausbauen.» Gerade ist sie dabei, zwei weitere Themenpapiere zu versenden. Gemäss dem Motto: Wenn schon kein Themenabend stattfinden darf, dann zumindest ein Themenpapier versenden.

Newsletter ist gefragt
Einer der Newsletter, den Reintjes verschickt, hat ökologisches Gärtnern zum Inhalt. Darin gibt eine Umweltberaterin Tipps für ökologisches Gärtnern, die Leser erhalten eine Einladung, den Garten vor Ort anzusehen. Das zweite Themenpapier hat sie gemeinsam mit Pfarrerin Sabine-Claudia Nold erarbeitet: «Wie erkläre ich Kindern biblische Geschichten mit schwierigem Inhalt?» «Oft sehen einen Kinder mit grossen Augen an, wenn sie von der Arche Noah hören, und fragen, ob die Tiere auch alle untergegangen sind. Dafür wollen wir Eltern eine Hilfestellung geben.»

15 Seiten lang ist das Papier geworden, gespickt mit Bildern und anschaulichen Erklärungen. «Wir sprechen heute ein breiteres Publikum und mehr Menschen an als früher bei Präsenzveranstaltungen. » Vor zehn Jahren, als die Sozialdiakonin begonnen hatte, sassen wenige Kinder bei den Veranstaltungen. Zuletzt waren es rund 30. «Mit den digitalen Angeboten erreiche ich rund 70 Familien.» Kein Wunder, will sie ihre digitalen Aktivitäten auch in Zukunft weiterführen.

Carmen Schirm-Gasser

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