Nachruf Ursula Stämmer-Horst: «Sie hatte bei anderen immer die Stärken gesucht»

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30.04.2020
Synodalratspräsidentin Ursula Stämmer, 61, war eine aussergewöhnliche Frau. Sie kämpfte mit beeindruckender Würde bis zum Schluss gegen ihre Krankheit, an der sie im März verstarb. Sie hinterlässt eine grosse Lücke in der reformierten Kirche.

Die Synode ging bereits seit Stunden. Die Stimmung war festgefahren. Also trat Ursula Stämmer zum Mikrofon und las den rund hundert anwesenden Synodalräten ein Zitat vor – aus der Bibel. Zur Erinnerung an Einigkeit, gemeinsame Ziele und dass die Kirche auf der Grundlage des Evangeliums steht. Es war ein Fingerzeig der Präsidentin. Mit Erfolg. Und nicht das einzige Mal. «Ursula Stämmer schaffte es, ein Miteinander zu erzeugen», erinnert sich Ruth Burgherr, Präsidentin der Synode. «Sie konnte Leute motivieren und auf ein Ziel ausrichten.» «Sie vermochte es, verschiedenste Menschen zusammenzuschweissen», doppelt Gottfried Locher, Präsident der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz, nach. «Dank ihr zogen alle an einem Strick.»

Ihr Lohn spielte keine Rolle
Ursula Stämmer hatte bereits eine erfolgreiche Karriere hinter sich. Die ausgebildete Krankenschwester, Sozialdemokratin und zweifache Mutter war 1991 in den Grossen Bürgerrat gewählt worden, amtierte als Kantonsrätin, Stadträtin und Sicherheitsdirektorin. 25 Jahre lang prägte sie die Politik in Luzern. Bis sie sich entschloss zurückzutreten. «Sie hatte viel erreicht und wohl genug von der weltlichen Politik», erinnert sich der ehemalige Synodepräsident Norbert Schmassmann.

Es war 2016, als ihr Name auf einer Liste mit 20 anderen Kandidaten gestanden hatte für die vakante Position einer Synodalratspräsidentin und er sie kontaktierte. Sie wolle kürzertreten, hatte sie ihm zur Antwort gegeben. Einzig die Aussicht im sozialen Bereich noch einmal etwas bewirken zu können, Gutes zu tun, habe sie gereizt. Trotzdem bat sie um Bedenkzeit. «Sie war sehr selbstkritisch und hat sich hinterfragt, ob sie für diese Position geeignet sei. Dabei war sie die Wunschkandidatin für jedes Unternehmen, jeden Verein», so Norbert Schmassmann. Man sei froh gewesen, als die Gegenkandidatin aus monetären Gründen abgesagt hatte.

Für Ursula Stämmer habe die Höhe der Besoldung keine Rolle gespielt. Für die Reformierte Kirche Luzern sei es gewesen, als habe man einem Mittelklassewagen einen Mercedes-Stern aufgeklebt.

Keine Egospiele
«Die Zusammenarbeit mit ihr war grossartig», erinnert sich Synodalrätin Lilian Bachmann an ihre Kollegin, mit der sie praktisch zeitgleich ihr Amt im Synodalrat angetreten hatte. «Sie war ein absoluter Profi in allem, was sie anpackte.» Und es standen eine ganze Reihe von Umsetzungsarbeiten an, da 2017 eine neue Verfassung in Kraft getreten war: unter anderem das Personalgesetz, das Organisationsgesetz und die neue Kirchenordnung. «Ursula erkannte, welche Themen wichtig waren, und setzte sich tatkräftig und beherzt dafür ein», so Lilian Bachmann. «Sie liess andere Meinungen zu und wenn es Differenzen gab, gelang es ihr stets, Brücken zu schlagen und die Hand für gemeinsame Lösungen zu reichen.»

Besonders die Kirchenordnung sei ihr am Herzen gelegen. «Darauf hat sich Ursula enorm gefreut und hat dieses so wichtige Projekt unserer Landeskirche initiiert und auf die Reise geschickt.» «Bei ihr stand immer die Sache im Vordergrund, nie sie selbst», erzählt Ruth Burgherr, Präsidentin der Synode. «Sie machte keine Egospiele, hat nie Selbstdarstellung betrieben, was bei Politikern nicht so häufig anzutreffen ist.» «Unwichtige Dinge interessierten sie nicht», erinnert sich Gottfried Locher. «Sie hatte Profil und daher Gegner, was für sie sprach, denn wer Gegner hat, ist auch jemand, der etwas zu sagen hat.» Selten habe er jemand kennen gelernt, der wie sie, bei anderen immer die Stärken gesucht habe. Sie habe es nicht nötig gehabt, andere kleinzumachen, damit sie selber grösser wirkte.

Auffallend war auch ihr guter Kontakt zu anderen Glaubensgemeinschaften. «Unsere Zusammenarbeit war stets geprägt von einer grossen und respektvollen Offenheit», sagt Renata Asal-Steger, Präsidentin der katholischen Landeskirche des Kantons Luzern. Voller Freude sahen sie und Ursula Stämmer dem Jubiläumsjahr der 50-Jahre-Anerkennung der beiden Landeskirchen im Kanton Luzern entgegen. Anfang Dezember noch gaben sie gemeinsam ein Interview. Körperlich bereits stark gezeichnet von der Krankheit, doch wach im Geist und zu Scherzen aufgelegt, wollte sich Ursula Stämmer partout nicht von einer Ärzteschaft verbieten lassen, zum Interview-Termin zu erscheinen. Tragik am Rande. Die geplanten Feierlichkeiten im ersten Halbjahr mussten schlussendlich aufgrund von Corona abgesagt werden.

Mit dem Herrgott versöhnt
Vergangenen Sommer war bei Ursula Stämmer ein Krebsleiden diagnostiziert worden. Bis zum Schluss kämpfte sie dagegen. Und blieb trotzdem sie selbst. «Ursula nahm die Krankheit mit grosser und beeindruckender Würde», erinnert sich Renata Asal-Steger, die ihre Kollegin noch am Krankenbett besuchte.

Als das Corona-Virus keine Besuche mehr zuliess, half sich Ursula Stämmer anderweitig. Per Telefon ging sie mit Synodalratskollegen noch einen Tag vor ihrem Ableben offene Pendenzen durch. «Ursula Stämmer war ein Gewinn für die reformierte Kirche. Und die reformierte Kirche für sie», ist Gottfried Locher überzeugt. Er will bei ihr einen Wandel bemerkt haben. «Zu Beginn nahm sie die Kirche als soziale Institution wahr, für die sie einen Beitrag leisten wollte. Durch ihre Tätigkeit jedoch fand sie noch etwas anderes – den Zugang zu Glaubensfragen und den theologischen Aspekten der Kirche.» Was ihr sehr wichtig gewesen sei.

Kurz vor ihrem Ableben rief Ursula Stämmer Gottfried Locher noch einmal an. Jetzt habe sie sich mit dem Herrgott versöhnt, teilte sie ihm mit. Doch ob er sich mit ihr versöhnt habe?, scherzte der Kirchenpräsident zurück. Und beide lachten. Ein Abschied, wie sie es sich wohl gewünscht hatte.

Carmen Schirm-Gasser, Kirchenbote

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