Der Missbrauch der Religionen

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02.03.2020
Die Kirche lud zur im Kino Sputnik in Liestal Vorstellung des Films «Female Pleasure». Dieser zeigt, wie die Religionen bis heute zur Unterdrückung der Frauen und ihrer Sexualität beitragen.

Vor dem Kino Sputnik in Liestal steht das Publikum Schlange. Es sind mehrheitlich Frauen, vereinzelt Männer. Judith Borter und Andreas Olbrich versuchen Ordnung in den Andrang zu bringen und vertrösten diejenigen, die sich für die Vorstellung nicht angemeldet haben. Die Leiterin der kirchlichen Fachstelle für Genderfragen und Erwachsenenbildung und der Reigoldswiler Pfarrer luden Ende Januar zur Sondervorstellung des Films «Female Pleasure» mit anschliessendem Gespräch mit der Regisseurin Barbara Miller. Die 62 Sitze im Kino waren besetzt, mit ein paar zusätzlichen Stühlen fanden am Ende alle Platz.

Fünf Frauen erzählen
Der Grund für den grossen und vor allem weiblichen Zuspruch: Im Film «Female Pleasure» erzählen fünf junge Frauen aus verschiedenen Kulturen, wie die patriarchalen Strukturen der Religionen ihr Leben bestimmen und ihre Sexualität unterdrücken: Deborah Feldman wächst in einer ultraorthodoxen jüdischen Gemeinschaft in New York auf. Sie wird verheiratet mit einem Mann, den sie nicht kennt. Von Sex und ihren Pflichten als Ehefrau hört sie zum ersten Mal in ihrer Hochzeitsnacht. Die Somalierin Leyla Hussein stammt aus einer streng gläubigen muslimischen Familie und wird als Siebenjährige beschnitten.

Die Deutsche Doris Wagner tritt mit 19 Jahren ins Kloster ein, ein Priester missbraucht sie. Vithika Yadav wächst in einer traditionellen Hindu-Familie im Norden Indiens auf. Sie darf nicht alleine auf die Strasse gehen und keinem Mann in die Augen schauen. Tut sie es dennoch, greifen die Männer sie an und belästigen sie. Die Japanerin Rokudenashiko kommt ebenfalls aus einer traditionellen shinto-buddhistischen Familie. Wegen ihrer Vagina-Performances, mit denen sie gegen die Verteufelung der weiblichen Lust protestiert, drohen der Künstlerin zwei Jahre Haft.

Bedroht und verfolgt
Alle fünf Frauen haben sich von den religiösen Zwängen befreit. Sie setzen sich für sexuelle Aufklärung ein und kämpfen für die Selbstbestimmung der Frauen. Dafür zahlen sie einen hohen Preis. Sie werden öffentlich dif-famiert und verfolgt, von ihrem ehemaligen Umfeld verstossen und von Religionsführern und fanatischen Gläubigen mit dem Tod bedroht.

«Female Pleasure» zeigt, dass die Mechanismen, welche die Frauen in die Schranken weisen, in allen Religionen dieselben sind. Der Film gibt zu denken, weil er vor Augen führt, wie die Religionen archaische Strukturen bis heute befördern. «Warum sind wir Frauen immer noch mit solch rückschrittlichen Dingen konfrontiert?», fragt sich Regisseurin Barbara Miller. Auch im 21. Jahrhundert sei Sexualität «viel weniger ein Thema von Lust als vielmehr von Pflicht, sogar von Gewalt und Schmerzen». In den Schriften aller fünf Weltreligionen könne man lesen, dass der weibliche Körper sündhaft sei, dass die Frauen durch ihre Sexualität und ihre Existenz das Böse in die Welt bringen.

Wie unterschiedlich mit dem Körper von Frauen und Männern umgegangen wird, zeigen die Bilder vom Fruchtbarkeits-Fest in Tokio. Da trägt eine jubelnde Menge einen riesigen Phallus durch die Strassen und kleine Kinder schlecken inbrünstig Wasserglace in der Form kleiner Penisse, während Rokudenashiko vor Gericht steht, weil sie in einem Ruderboot mit der Form ihrer Vagina im Fluss paddelt. Das Erleben von Frauen sei weltweit sehr ähnlich, egal aus welcher Kultur oder Religion sie stammten, so die Erfahrung von Barbara Miller.

Schock und Verständnis
Nach der Vorführung des Films kam man unweigerlich auch auf die Rolle der Männer zu sprechen. Die jahr-tausendealten Überlieferungen und Bilder, mit denen die Frauen zu kämpfen haben, könnten nur zusammen mit den Männern überwunden werden, glaubt Barbara Miller. Leyla Hussein versucht es im Film mit Aufklärung: Als sie mit einer riesigen Schere anschaulich eine Plastilin-Vagina verstümmelt, um die Beschneidung zu demonstrieren, sieht man in die schockierten Gesichter der umstehenden Männer. Die männlichen Reaktionen auf ihren Film seien durchwegs positiv, erzählt Miller. Auch die Männer im Kino Sputnik zeigen Verständnis. Angesichts ihrer kleinen Zahl darf man jedoch davon ausgehen, dass das Interesse am Thema und die Bereitschaft, sich damit auseinanderzusetzen, bei der Mehrheit eher gering ist.

Etwas in Gang gesetzt
Immerhin hat «Female Pleasure» aber im Fall von Doris Wagner, die als Nonne missbraucht wurde, etwas verändert. Nachdem sie der Vatikan in einer ersten Antwort auf ihren Brief aufforderte, für den Papst zu beten, entschuldigte sich der Erzbischof von Wien später bei einem gemeinsamen Fernsehgespräch bei ihr. Und der Papst anerkannte das Problem, dass 30 Prozent der Nonnen weltweit missbraucht werden.

Am Ende betonte Barbara Miller dennoch, dass «Female Pleasure» «kein Film gegen die Religion und schon gar nicht gegen den Glauben» sei. «Glauben ist etwas sehr Persönliches. Mir ging es darum, den Missbrauch von Religion zu zeigen. Die Vorstellungen, wie eine Frau sein muss, und die Vorschriften, wie sie sich in allen Aspekten des Lebens zu verhalten hat, kommen sehr stark aus diesen alten religiösen Traditionen.»

Karin Müller, März 2020

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