Gotthelfs «Geist»

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24.05.2018
Der Begriff «Geist» ist schwierig zu fassen. Was Jeremias Gotthelf in seinem Roman «Geld und Geist» meint, hängt eng mit dem biblischen Verständnis zusammen. Er versteht darunter die positiven Auswirkungen auf das Leben, wenn sich Menschen zu Jesus bekennen und versuchen, nach seinen Werten zu leben.

Spannend ist Gotthelfs Verknüpfung von Geld und Gier sowie der Gnadengaben (sogenannte Charismen, die Christen gemäss der Bibel vom Heiligen Geist geschenkt bekommen) in einer kompakten Passage seines Romans «Ueli der Pächter». Nachfolgend eine Leseprobe, die zeigt, dass Gotthelf zwar vor 175 Jahren schrieb, dass aber die Inhalte durchaus nichts an Aktualität und Brisanz verloren haben.

Zu viel oder zu wenig – aber unbeschwert
«Angst habe er nicht, er habe sich darein ergeben, es zu nehmen, wie es komme, und damit zufrieden zu sein. Aber wie Joggelis Kinder es mit Wenigem machen würden, da es nicht mit Vielem gegangen, dazu weder arbeiten noch entbehren könnten, das begreife er nicht. Das gebe die unglücklichsten Leute, welche immer zwischen Können und Mögen hingen, an allen andern Orten den Fehler suchten, nur nicht an ihnen selbst, und daher auch so wüst täten ohne Unterlass, sich verfeindeten allenthalben, wo sie Freunde doch so nötig hätten. Er dankte Gott nicht, dass er nicht sei wie jene, aber er fühlte sich doch glücklich, dass er nicht in ihrer Haut war, und das ist erlaubt. Dankbar soll man sein für alle Gnadengaben Gottes, und ist das nicht eine grosse Gabe, wenn man die Kraft empfangen hat, dem Willen Gottes sich zu unterziehen, und das Genügen, welches übrighaben und Mangel leiden kann und beides unbeschwert?»

Dankbar und demütig werden
Gotthelf differenziert und gibt einen Rat – wie so häufig in seinen Büchern: «Diese Gaben sind sehr zu unterscheiden von persönlichen Eigenschaften oder Vorzügen, auf die man stolz wird, um deretwillen man andere verachtet oder verfolgt. Hier liegt eben das unterscheidende Merkmal für alle, welche auch hier den Baum nur an den Früchten zu erkennen vermögen. Wer um eigener Vorzüge willen sich erhebt und Gott ihretwegen dankbar sein zu müssen glaubt, der verachtet andere, beneidet sie, sucht sie zu erniedrigen. Wer um Gaben Gottes willen dankbar ist, der ist demütig; er weiss, woher er das Beste hat, er bedauert von ganzem Herzen den, der es nicht hat, er würde von ganzem Herzen mitteilen von seiner Gabe, um die zu erhöhen, welche sie nicht haben.»


(cyr, 24. Mai 2018)