Von Sekten und Freikirchen, die – vielleicht – doch keine sind

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05.04.2018
Freikirche oder Sekte? Der Freikirchen-Dachverband beanstandete unklare Grenzen in einer Berichterstattung von SRF – und bekam Recht. Das Problem aber bleibt: Die Grenzen sind nicht klar.

«Warum es so schwierig ist, aus der Freikirche auszutreten», berichtete Anfang April ein Mann in einem langen Artikel des Online-Portals watson.ch. Er war bei den Siebenten-Tags-Adventisten. Und im Februar publizierte SRF online einen Beitrag, bei dem Aussteigende erzählten.

Bei SRF wurde die Schweizerische Evangelische Allianz (SEA) vorstellig. Der Beitrag sei zu wenig ausgewogen und trenne zu wenig klar zwischen Freikirchen und Sekten. Bei der zu wenig scharfen Trennung der beiden Begriffe stimmte SRF-Ombudsmann Roger Blum dem freikirchlich geprägten Verband in seiner Antwort teilweise zu.

Keine «glasklare» Abgrenzung
Doch in all den Berichten und Ausführungen wird nicht ganz klar: Wann ist eine Gemeinschaft eine Freikirche, wann eine Sekte? Das Problem ist, dass es keine «glasklare» Abgrenzung gibt – was Roger Blum am SRF-Beitrag monierte. Georg O. Schmid, Leiter der Infostelle relinfo.ch, benennt die Schwierigkeit direkt: «Es gibt für die Begriffe Freikirche und Sekte keine offizielle Definition, die von Fachwissenschaften anerkannt und justiziabel wäre.»

Das Hauptproblem liegt darin, dass die Begriffe auf unterschiedlichen Ebenen liegen. Sie schliessen sich deshalb nicht grundsätzlich aus: Eine Freikirche könnte auch eine Sekte sein. «Der Begriff Sekte wird meist verwendet zur Bezeichnung problematischer Gemeinschaften, ganz unabhängig davon, welcher Religion oder Richtung sie entstammen», sagt Schmid.

Wissenschaft verzichtet auf «Sekte»
Die Religionswissenschaft habe bisher wegen der Unschärfe und auch wegen des wertenden Charakters die Aufnahme des Begriffs Sekten «weitestgehend» verweigert. Und es gebe auch unterschiedliche landläufige Verwendungen, etwa im Sinn von «kleine Gruppe», «Abspaltung von einer grösseren Tradition», oder gar als Wechselbegriff für jegliche religiöse Gemeinschaft.

Hingegen habe der Presserat jüngst eine Sektenliste des «Blick» durchgehen lassen, auf der auch Freikirchen aufgelistet waren, sagt der Leiter von relinfo. Der Presserat begründete, dass es ohnehin keine klare Definition des Begriffs Sekte gebe, so dass grundsätzlich jede Gemeinschaft so bezeichnet werden könne. 

Relinfo sagt «problematische Gemeinschaften»
Die Infostelle von Schmid handhabt es etwas anders. Denn in der konkreten Beratungsarbeit sei der Sektenbegriff beschränkt hilfreich. «Wir klären immer zuerst, was eine ratsuchende Person unter Sekte versteht», sagt Schmid. Hauptmerkmal von Sekten sei die «problematische Stuktur», weshalb die Infostelle eher den Begriff der «problematischen Gemeinschaft» verwendet.

Die Merkmale solcher Gemeinschaften hat die Infostelle aufgelistet. Dazu gehören etwa Abzocke, Allheilmittel, Diskriminierung, Geheimniskrämerei, Kontaktabbruch, Meidung von Aussteigern – insgesamt 25 Punkte. Erfülle eine Organisation mindestens eines der Merkmale, sei «Vorsicht angebracht».

Die ganze relinfo-Liste von «Merkmalen problematischer Gemeinschaften» gibt es hier als PDF.

Frei von staatlicher Bindung
Aber was sind nun Freikirchen? Hauptmerkmal dieser «Selbstbezeichnung von Gemeinschaften mit evangelikaler Theologie» ist gemäss Georg Schmid von relinfo, dass sie «sich bewusst nicht an den Staat binden wollen». Sie organisierten sich selbst in Verbänden.

«Daneben gibt es Gemeinschaften, die sich Freikirchen nennen, ohne zu den Freikirchen dazuzugehören», sagt Schmid weiter. Als Beispiel nennt er die Siebenten-Tags-Adventisten. Sie gälten aufgrund ihrer Sonderlehren (Sabbatfeier, Seelenschlaf) nicht als evangelikal, sondern als «christliche Sondergruppe».

Marius Schären, reformiert.info, 5. April 2018

Antwort von Ombudsmann Roger Blum auf die Beanstandung der Schweizerischen Evangelischen Allianz

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