Alle sind eingeladen

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12.06.2017
Die Dorfpfarrerin von Neukirch-Egnach, Simone Dors, freute sich, dass der kantonale Kirchensonntag am 11. Juni in ihrer Kirchgemeinde stattfand: «Wir träumen ja von Grossem, von vollen Kirchen, von lebendigen Kirchgemeinden, von Menschen, jungen und alten, die sich begeistern lassen für das Evangelium. Und an so einem Festtag, wenn wir als eine riesengrosse Gemeinde zusammen kommen, dann ist etwas von unseren Wünschen in Erfüllung gegangen.» Nachfolgend die Predigt im Wortlaut.

Liebe Festgemeinde,

Es freut mich sehr, dass wir in Egnach die Ehre haben den Thurgauer Kirchensonntag heute bei uns begrüssen zu dürfen.

Und nun darf ich als hiesige Pfarrerin auch noch einen Teil der Predigt halten, das ist eine grosse Ehre.

Wie schön so ein grosses Fest gemeinsam zu erleben. Die vielfältige Musik zu hören, die es in unserer Kirche gibt, viele Menschen zu erleben, die zur Kirche gehören, die sich einbringen, sie sich auf den Weg gemacht haben, um heute hier zu sein. Mich freut das sehr.

Und noch viel früher als heute, da wurden wir angefragt von der Kantonalkirche mit noch einem besonderen Anliegen: Liebe Menschen aus den Kirchgemeinden, sagt uns doch: Was sind eure Gedanken, was sind eure Ideen, was sind eure Wünsche für die Zukunft der Kirche?

Und einige unserer Thesen für die Zukunft der Kirche haben wir eben gehört. Hintergrund ist das Reformationsjubiläum, das wir in diesem Jahr begehen. Vor 500 Jahren hat ein Doktor der Theologie seine Gedanken zur Kirche veröffentlicht. Er hat dazu 95 Thesen aufgeschrieben. Und heute befragt unsere Kirche alle Menschen in den Gemeinden dazu. Und dass wir alle heute gefragt werden: Was denkt ihr über die Kirche? Das ist eine Auswirkung der Reformation.

Die Christinnen und Christen sind mündig geworden. Wir alle sind gefragt. Wir alle sind herausgefordert, unseren Glaubensweg zu gehen und zu finden. Martin Luther hat gesagt: Christinnen und Christen sind alle gleichermassen würdig, vor Gott zu treten und für andere zu bitten. Sie sind alle gleichermassen Priester. Das ist das Priestertum aller Gläubigen.

Unsere Kirche heute sehen wir als eine Gemeinschaft von mündigen Christinnen und Christen, die alle etwas über ihren Glauben zu sagen haben. Und unser gemeinsames Fest heute zeigt uns etwas von der Gestalt dieser unserer Kirche:

Wir sind eine Gemeinschaft, in der die Menschen mitreden, mitgestalten können und sollen. Eine Gemeinschaft, in der auch unterschiedliche Gedanken und Ideen Raum erhalten können, eine Gemeinschaft, die in ihrer Vielfalt, Unterschiedlichkeit und Lebendigkeit der Liebe Gottes Gestalt gibt.

Wir Christinnen und Christen, alle gleichermassen würdig, alle gleichermassen eingeladen, vor Gott zu treten - Wie ist das denn, vor Gott zu treten? Von dieser Erfahrung berichtet ein Prophet im Alten Testament, der Prophet Jesaja. Und ich lese ihnen diese Erfahrung vor.

Jesaja 6, Verse 1 bis 8 Bibel

Jesaja sieht sich in seiner Vision vor Gott treten. Er sieht Gott hoch und erhaben sitzen auf einem Thron und Engel rufen: Heilig Heilig Heilig ist Gott der Heerscharen!,

Diese Vision war überwältigend für Jesaja. Allein der Saum des Gewandes füllte den ganzen Tempel aus. Wie klein muss sich Jesaja da vorgekommen sein, vor diesem grossen und erhabenen Thron Gottes zu stehen. Vor Gott zu treten, das macht einen demütig.

Es gibt ja Begegnungen, die machen einen demütig, die lassen einen spüren, dass man selber nicht alles kann und nicht alles weiss.

Und ich hatte einmal eine solche Begegnung.

Da hat mir jemand gezeigt, dass die Wahrheit Gottes grösser ist, als ich selber. Und das war jemand, von dem ich das gar nicht erwartet hatte.

Ich habe damals gearbeitet in einem sogenannten sozialen Brennpunkt. Die Menschen dort waren überwiegend arm und sozial herausgefordert. Manchmal im Gottesdienst war da ein Mann mit seiner Mutter. Oft hatte er eine Plastiksack dabei. Ich hatte mir gedacht: Vielleicht sammelt der da drin Pfandflaschen. Und die beiden kamen immer etwas später hinein, wenn der Gottesdienst schon angefangen hatte. Und es gab dann, so vielleicht beim Eingangsgebet einen kleinen Tumult, weil die beiden mitten in der Kirche standen und laut miteinander klären mussten, wo sie sich denn jetzt hinsetzen sollen. Das war wahrscheinlich auch ein bisschen mühsam für die anderen Gottesdienstbesucher. Aber man muss sagen: Die beiden waren regelmässige Kirchgänger!

Und einmal bei einem Essen für die Gemeinde im Kirchgemeindehaus, da sass ich neben ihm und über unserem Tisch, da hing ein Bild und der Mann schaute sich das Bild sehr aufmerksam an. Und ich habe gemerkt, dieses Bild beschäftigt ihn sehr. Es war da die Szene von der Kreuzigung von Jesus zu sehen. Und er sagte ganz bewegt: Schlimm! Das ist doch schlimm, was mit dem passiert ist!

So über Jesus zu reden, das wirkt auf uns vielleicht ein bisschen merkwürdig, weil uns die biblische Szene sehr vertrau ist.

Doch der Mann sah das Bild mit dem Kreuz so, als stände er gerade selber davor, als würde dieses Bild für ihn lebendig werden. Er sah sich als Teil des Geschehens und er war betroffen. Und er sprach mich an, so als stände ich auch da an seiner Seite: Ist doch schlimm, was mit dem passiert ist! So als ständen wir beide vor dem Kreuz. Er hat mich auch hineingenommen in die Szene. Wie als wollte er mir sagen: Da musst du jetzt mitfühlen! Dieser Mann, der stand auf seine Art vor Gott. Und er hat mich dabei wie mit an seine Seite geholt. Ein anderer Mensch holt mich mitten hinein in eine Begebenheit aus dem Leben von Jesus. - Das hat mich demütig gemacht, weil es mir gezeigt hat, dass mich andere Menschen mit ihrem Glauben überraschen können und berühren können und dass ich nicht alles selber weiss, dass die Wahrheit Gottes grösser ist, als ich selber.

Vielleicht gehört das zu diesem Priestertum aller Gläubigen dazu, zu den Christinnen und Christen, die vor Gott treten: Die Demut, dass wir nicht schon alles wissen, dass wir nicht alles aus uns heraus schaffen können.

Wir mündigen Christinnen und Christen, wir träumen ja von Grossem, von vollen Kirchen, von lebendigen Kirchgemeinden, von Menschen, jungen und alten, die sich begeistern lassen für das Evangelium.

Und an so einem Festtag, wenn wir als eine riesengrosse Gemeinde zusammen kommen, dann ist etwas von unseren Wünschen in Erfüllung gegangen.

Aber vielleicht wenn wir in so grosser Zahl zusammenkommen, dann macht uns das auch demütig, weil wir sehen wie vielfältig und auch wie verschieden wir sind. Wir brauchen einander, um eine Kirche zu sein. Und wir brauchen die Grösse, die Weitherzigkeit und die Weisheit Gottes. Amen

 

 

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