«Es schön´s Tägli»

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28.12.2016
Es Käfeli, es Reisli, es Tägli – der Gebrauch der Verkleinerungsform ist typisch schweizerisch. Nicht alle schätzen das.

Wie ein frisch verschneites Feld, eine weisse Fläche, wie ein unbeschriebenes, weisses Papier liegt das neue Jahr vor mir: Was wird wohl das Jahr 2017 bringen? Welche Schritte werde ich gehen? Welche Wege einschlagen? Welche Spuren werden gelegt werden? Welche Worte werde ich sagen? Gerne wünsche ich Ihnen jetzt ein gutes, neues Jahr und Gottes Segen! Aber auch einfach jeden neuen Tag im neuen Jahr «einen schö­nen Tag!»

Dieser Wunsch kommt mir spontan und herzlich über die Lippen. Ein gutes Wort hat noch nie geschadet, ja wir sehnen uns meist nach guten Worten. Ein gutes Wort kann Wunder wirken! Ein gutes Wort kann einen Menschen den ganzen Tag verwandeln. Freundlich bedanke ich mich jeweils für den guten Wunsch.

Doch in letzter Zeit muss ich mich allzu oft mit einem ziemlich süss-sauren Lächeln behelfen für den neumodischen Wunsch: «Äs schön`s Tägli!». Sei´s beim Einkaufen, beim Arzt, bei einem Behördengang oder sonst wo… Im ersten Moment denke ich jeweils, ach die meinen es ja gut, oder ich nehme es mit Humor. Es ist es ja in vielen Schweizer Dialekten üblich, dass man Wörter in der Verkleinerungsform braucht.

Freundliches Geplapper

Aber, entschuldigen Sie bitte, liebe Leserinnen, liebe Leser: Wenn ich ganz ehrlich bin, wenn ich dieses Wort «Tägli» höre, da schreie ich innerlich auf! Diese unbedachte Verkleinerung. Dieses gedankenlose, ach so freundliche Geplapper um einen guten Wunsch! Unverbindlich und nichtssagend ist das und teils regelrecht anbiedernd, täglich 100 Mal dahingesagt! «Tägli-mässig» eben! Ich kann es nicht ausstehen, wenn so unachtsam mit Wörtern und mit einem Tag – notabene MEINEM Tag, MEINEN 24 Stunden Lebenszeit – umgegangen wird! Dabei liebe ich doch jeden neuen Tag.

Ein Tag ist doch ein Tag und kein «Tägli»! Warum bloss wird der Tag hier so verkleinert, zu etwas Winzigem oder sogar Unwichtigem gemacht mit diesem Ausdruck? Warum werde ich dabei selber so verkleinert, zu etwas Winzigem, zu einem Kleinkind gemacht, nicht als Erwachsene auf gleicher Augenhöhe behandelt? Gedankenlos und unverbindlich werde ich somit letztlich wahrgenommen. Diese Unachtsamkeit, dieses Herabsetzen und diese Unwichtigkeits-Erklärung an mich und meinem Tag – es könnte ja mein letzter sein – macht mich richtig ärgerlich. So bitte nicht!

Gott nimmt uns wichtig

So möchte ich nicht von meinem Gegenüber behandelt werden. Ich mache es ja auch nicht. Sondern ganz bewusst erwidere ich darauf kein «Danke gleichfalls», sondern ich sage: «Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag!»

Gott gibt uns mit jedem neuen Tag, den er uns schenkt, seine Wichtigkeits-Erklärung ab, in dem er uns zusichert und spricht: «Ich bin bei Euch alle Tage bis an das Ende der Welt!» In diesem Sinne wünsche ich Ihnen von Herzen gute, ganze Tage!

Andrea Rhyner-Funk / 26.Dezember 2016