Reformiertes 500-Jahr-Jubiläum: Auch das Glarnerland feiert

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28.12.2016
Die Reformierten Kirchen feiern 2017 weltweit ihr 500-Jahr-Jubiläum. Auch die Glarner Kantonalkirche und die Kirchgemeinden erinnern sich ihrer Wurzeln. Mit dem Reformprojekt «Generationenkirche» ist ein Aufbruch geplant.

«Quer denken – frei handeln – neu glauben». So heisst der Slogan, den sich die Schweizer Protestanten fürs Jubiläumsjahr 2017 selbst gegeben haben. Es steckt in diesen Begriffen immer noch etwas von jenem Revoluzzertum, das vor einem halben Jahrtausend in Europa zu einer Kirchenspaltung führte. Die Katholische Kirche bekam Konkurrenz, die schliesslich zu ihrer eigenen Erneuerung führte. Im Zuge der sogenannten Gegenreformation versuchten die Katholiken, mit inneren Reformen verlorenes Terrain zurückzugewinnen. Nicht verschwiegen sei, dass «Nicht-Gläubige» schonungslos verfolgt wurden. Im 16. und 17. Jahrhundert führten Glaubenskriege in Europa zu einem scheusslichen Blutvergiessen und Millionen Toten. Erst der Westfälische Friede von 1648 machte der Schlächterei unter Christen ein Ende. Die Reformation war nicht mehr rückgängig zu machen.

Luther-Zwingli-Calvin

Die Protagonisten der Reformation in Mitteleuropa waren Figuren, die die meisten Menschen heute zumindest dem Namen nach kennen: Luther-Zwingli-Calvin. Die Neuerer hätten vor 500 Jahren gewiss Prominentenstatus besessen, hätte es Facebook, Twitter und andere Social Media schon damals gegeben: In Windeseile über die Welt verbreitet hätten sich die 95 Thesen, die Martin Luther 1517 an der Schlosskirche zu Wittenberg anschlug. Darin nahm Luther wortgewaltig Missstände in der Katholischen Kirche aufs Korn, zuvorderst den blühenden Ablasshandel. Dieser hatte sich zum Nachteil der einfach gestrickten Gläubigen zur Geldmaschine von Kirche und Klerus entwickelt. Die Vorstellung, das sich mit Geld und dem Plazet der Geistlichkeit Sündenbefreiung und ein Platz im Himmel erkaufen liess, war für den deutschen Reformator buchstäblich des Teufels. Martin Luther thematisierte diese Missstände als erster und wurde so zum Wegbereiter für andere Reformatoren. Aus Schweizer Sicht sind in diesem Zusammenhang Ulrich Zwingli, Bauernsohn aus dem Toggenburg, sowie der in Genf wirkende Johannes Calvin zu nennen. Der Calvinismus stellt heute die weltweit grösste protestantische Strömung dar.

Rückbesinnung aufs Evangelium

Die Reformatoren des 16. Jahrhunderts strebten eine grundlegende Erneuerung der Kirche an, nicht aber die Gründung einer neuen «protestantischen» oder «reformierten» Kirche. Sie proklamierten in ihren Schriften ein «back to the roots», eine Rückbesinnung also auf das Evangelium, auf die «frohe Botschaft». Nach reformiertem Verständnis schlummert Gott in jedem einzelnen Menschen. Alle Menschen haben direkten Zugang zu Gott: Gott ist Mensch, Mensch ist Gott. Demzufolge braucht es keine zwischengeschalteten Instanzen, die die göttliche Botschaft vermitteln. Für die (katholische) Kirche des Spätmittelalters war solches «reformiertes» Denken revolutionär und selbstredend inakzeptabel.

Zwingli war in seinen frühen Berufsjahren als Pfarrer in Glarus durchaus kein Revoluzzer, der gegen die bestehende Kirche antrat. Nicht die Frage um den «richtigen» Glauben führte 1516, zehn Jahre nach seinem Amtsantritt, zur Entlassung aus dem Glarner Kirchendienst, sondern seine kritische Haltung gegenüber dem Söldnerwesen. Weil gut bezahlt, war der Kriegsdienst in fremden Heeren lukrativ. Viele Bauernsöhne in der Innerschweiz zogen das Kriegshandwerk bitterer Armut zu Hause verständlicherweise vor. Mit seiner Opposition gegen die Reisläuferei hatte Zwingli einen schweren Stand. Seine Haltung wurde massgeblich durch die Erlebnisse auf den Schlachtfeldern Norditaliens geprägt, wo Zwingli als Feldprediger im Einsatz stand und zuschauen musste, wie sich Schweizer Söldner aus verschiedenen Kriegslagern gegenseitig die Köpfe einschlugen. Glaubensfragen im engeren Sinn trieben Zwingli erst nach der Zeit als Glarner Pfarrer um. 1519, also bloss zwei Jahre nach Luthers Thesenanschlag, wurde er ins einflussreiche Amt eines Leutpriesters am Zürcher Grossmünster berufen. Seine Art der Auslegung der Evangelien und sein rhetorisches Talent kamen bei der Zürcher Obrigkeit gut an. Die Gnädigen Herren der Stadt verfügten in der Folge, dass die Priester im Einflussbereich von Zürich die Heilige Schrift nach Zwinglis Vorgaben auszulegen hatten.

Reformprojekt «Generationenkirche»

Dem Reformationsjubiläum 2017 wollen auch die Glarner Kantonalkirche und die Kirchgemeinden breiten Raum geben. Erste Veranstaltungen, an denen über die Bedeutung der Reformation und über das Wirken Ulrich Zwinglis informiert wurde, haben vor einem interessierten Publikum bereits im Herbst 2016 stattgefunden. Eine ganze Reihe von weiteren Events und Veranstaltungen sind für 2017 geplant (vgl. Textbox). Die Glarner Reformierten wollen aber nicht nur rückwärts schauen, sondern den Blick nach vorne richten. Dabei wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die etablierten Kirchen akzentuiert in grossstädtischen Agglomerationen einem Mitgliederschwund ausgesetzt sind. In sanfterer Form zeigt sich das Phänomen auch in ländlichen Gegenden. Die Kirchenführung der Reformierten im Glarnerland hat deshalb das breit angelegte Reformprojekt «Generationenkirche» lanciert. 2012 wurde darüber erstmals öffentlich informiert. Ziel ist es, aktiver als bisher auf heutige Menschen mit ihren je unterschiedlichen Biografien, Bedürfnissen sowie spirituellen und kirchlichen Bezügen zuzugehen. «Kirche ist ein gastlicher Begegnungsort, wo ich mich eingeladen fühle und gerne hingehe», lautet eine der Kernbotschaften des Reformprojektes. Das 500-Jahr-Jubiläum der Reformierten Kirchen erscheint als idealer Zeitpunkt, um sich ernsthaft mit dem eigenen Woher und dem Wohin auseinanderzusetzen.

Peter A. Meier / 26.12.2016