Die Appenzeller Landteilung 1597

In Frieden getrennt

von Sandro Frefel, Landesarchivar Appenzell Innerrhoden
min
01.04.2024
Mit der Siegelung des Landteilungsbriefes am 8. September 1597 endete die Entwicklung eines Staatswesens, das im Europa des 16. Jahrhunderts ein konfessionelles Unikum war. Während über 70 Jahren lebten Reformierte und Katholiken im Land Appenzell zusammen, um sich schliesslich ohne grösseren Konflikt zu trennen.

Das Land Appenzell war 1513 als 13. Ort in die Eidgenossenschaft aufgenommen worden. Nur wenige Jahre später war dieser Staatenbund wie auch Appenzell mit der Reformation und der konfessionellen Spaltung konfrontiert: Ab 1522 fing man an «von disem grossen Handel bey uns reden», heisst es in einer zeitgenössischen Chronik. Die Politik versuchte die aufflammenden Streitigkeiten zu schlichten. 1524 sprach sich die Landsgemeinde als «höchste gewalt» für das Schriftprinzip aus, wonach nur gepredigt werden sollte, was in der Bibel steht. 1525 führte sie das Kirchhöreprinzip ein: Jede Kirchgemeinde durfte selbst über ihre Konfession entscheiden. In der Folge schwenkten lediglich die in der Pfarrei Appenzell zusammengefassten inneren Rhoden nicht auf die Reformation ein. Die Kirchgemeinden der äusseren Rhoden wechselten hingegen bis 1528/29 ins reformierte Lager. Der Glaube war nicht mehr eine Sache des Landes, sondern der einzelnen Gemeinde, ja des einzelnen Individuums. Konfessionelle Minderheiten einer Kirchgemeinde durften den Gottesdienst auswärts besuchen, die Reformierten im Dorf Appenzell zum Beispiel in Gais.

 

Gemeinsame Wurzeln

Das Land Appenzell war nun zwar ein paritätisches Staatswesen mit gleichwertigen Konfessionen. Aber mit dem Kirchhöreprinzip war der Samen der Landteilung bereits gepflanzt. Noch bildeten die gemeinsame Geschichte und die politische Organisation des Landes Klammern, welche die inneren und die äusseren Rhoden zusammenhielten. An die Landsgemeinde nach Appenzell kamen alle Landleute unabhängig von ihrer Konfession. Und in den Räten politisierten Katholiken und Reformierte gemeinsam. Aber der Friede musste immer wieder erarbeitet werden. An den Wandbildern des Rathauses Appenzell, erbaut nach dem Dorfbrand 1560, lässt sich das ablesen. So mahnt ein Bild zum redlichen Umgang miteinander: «Vill guots der frum mit reden stifft, ein böse zung viel leut vergifft». Zugleich war den Landleuten bewusst, dass sie die Unabhängigkeit vom Kloster St.Gallen erst vor gut hundert Jahren gemeinsam errungen hatten. Das ebenfalls nach 1560 gemalte Tafelbild der Schlacht am Stoss 1405 erinnerte an diese Trennung. Damals, Mitte des 16. Jahrhunderts, entstand eine eigene appenzellische Befreiungstradition. Diese knüpfte einerseits an den so genannten Freiheitskampf der Eidgenossen an, andererseits integrierte sie alle Landleute in das gemeinsame Land Appenzell.

Das Land Appenzell war keine Insel der konfessionellen Glückseligkeit.

Quer in der Zeit

Das Land Appenzell war aber keine Insel der konfessionellen Glückseligkeit. Die Verfestigung der konfessionellen Grenzen in der Eidgenossenschaft führte dazu, dass Appenzell ab der Mitte des 16. Jahrhunderts zunehmend als Sonderfall erschien. Es war kaum möglich, sich der Einflussnahme von aussen zu entziehen. Zum Beispiel wurden die Kapuziner auf Vermittlung hoher Innerschweizer Politiker 1586 nach Appenzell berufen. Ihr Auftrag war klar: im Mindesten die Festigung des Glaubens, im Idealfall die Rückholung von Reformierten in den Schoss der als alleinseligmachend betrachteten katholischen Kirche. Diskussionen über das Kirchhöreprinzip waren die Folge, wobei besonders der auswärtige Gottesdienstbesuch im reformierten Gais Anstoss erregte. Der unter Vermittlung der Eidgenossenschaft aufgesetzte Glaubensvertrag von 1588 bestätigte zwar das Kirchhöreprinzip, aber die konfessionelle Minderheit musste sich der Mehrheit fügen und konvertieren oder den Ort verlassen.

 

Das liebe Geld

Der Hauptauslöser für die Landteilung 1597 waren schliesslich die auswärtigen Pensionszahlungen für Fremde Dienste. Diese haben viel mit Innenpolitik zu tun, da sie für die Finanzierung des Staatshaushaltes eminent wichtig waren. Als Frankreich ab Ende der 1580er-Jahre seinen finanziellen Verpflichtungen gegenüber den Eidgenossen kaum mehr nachkam, sondierten die inneren Rhoden ein Bündnis mit Spanien: Spanien war die aufstrebende Macht und dank der Edelmetalle aus Südamerika zahlungskräftig. Aber Spanien war katholisch, was den äusseren Rhoden missfiel, die keine Konkurrenz zum französischen Bündnis wünschten. Als die inneren Rhoden nach langem Hin und Her einem Vertrag mit dem spanischen König zustimmten, war zu viel Tuch zerschnitten. Die letzten Vermittlungsversuche der Eidgenossen scheiterten, und im Juni 1597 stimmten Versammlungen in beiden Landesteilen einer Trennung für «mehr frid, ruow und verhoffender einigkeit» zu. Unter Mithilfe von sechs eidgenössischen Schiedsrichtern konnte im Landteilungsbrief für alle strittigen Punkte eine einvernehmliche Lösung gefunden werden.

Die äusseren und die inneren Rhoden lebten über Jahrzehnte eine friedliche Koexistenz trotz konfessioneller Unterschiede.

Regelungen im Landteilungsbrief

Der Landteilungsbrief umfasste gerade einmal 17 Artikel, wobei nur die wichtigsten Punkte geregelt wurden, etwa die Teilung des gemeinsamen Besitzes, das künftige Verhältnis zur Eidgenossenschaft oder die Aufbewahrung von wichtigen Dokumenten. Zur Wahrung des konfessionellen Friedens verbot ein Artikel gegenseitige Schmähungen. Und die Innerrhoder durften weiterhin zur Stoss-Kapelle wallfahren. Der ganze Vertrag ist von Pragmatik, nicht von Weitblick geprägt. So wurden im gemischtkonfessionellen Gebiet um Oberegg katholische Bewohner den inneren Rhoden zugeordnet, die reformierten den äusseren. Wechselte eine Liegenschaft in die Hand der anderen Konfession, wechselte die territoriale Zugehörigkeit. Spätere Verträge versuchten solche Unklarheiten des Landteilungsvertrages zu verbessern.

Der ganze Vertrag ist von Pragmatik, nicht von Weitblick geprägt.

Ausstieg aus der Trennung?

Das 16. Jahrhundert war noch nicht reif für ein gemischtkonfessionelles Gemeinwesen. Das war nicht die Schuld der Appenzeller. Im Gegenteil: Die äusseren und die inneren Rhoden lebten über Jahrzehnte eine friedliche Koexistenz trotz konfessioneller Unterschiede. Und es ist als Erfolg zu werten, dass die Landteilung ohne schwerwiegende Konflikte vollzogen werden konnte. Ob man damals beabsichtigte, langfristig zwei selbständige Kantone zu schaffen? Wohl eher nicht. Noch bis ins 19. Jahrhundert sprachen sich die Appenzeller als «Mitlandleute» an, und nicht als «Eidgenossen» oder «Miteidgenossen» wie die Schwyzer, Zürcher oder Glarner. Man verstand sich als Teil eines grösseren Ganzen. Dazu passt auch der 17. und letzte Artikel des Landteilungsbriefes: Die Teilung soll «nit immer und eewig» bestehen, sondern nur solange es beiden Teilen «gefellig» ist. Die Teilung solle aufgehoben werden, wenn sie den Appenzellern «nit nutzlich und fürstendig» wäre.

Darstellung des Landes Appenzell im so genannten «Silbernen Landbuch» von 1585. Im Zentrum das Dorf Appenzell | Quelle: Landesarchiv Appenzell Innerrhoden, E.10.02.01.01

Darstellung des Landes Appenzell im so genannten «Silbernen Landbuch» von 1585. Im Zentrum das Dorf Appenzell | Quelle: Landesarchiv Appenzell Innerrhoden, E.10.02.01.01

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