Papst fordert Neuübersetzung des Unser Vater

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13.12.2017
Der Papst will eine Passage im Unser Vater ändern. Nicht alle finden die Idee gut. Auch neu sei sie nicht. Doch jetzt spricht man darüber.

Papst Franziskus sitzt entspannt im Studio des Fernsehsenders der italienischen Bischofskonferenz und lässt mit sanfter Stimme eine kleine Bombe platzen: Die Formulierung «und führe uns nicht in Versuchung» im wichtigsten christlichen Gebet, dem Unser Vater, sei keine gute Übersetzung. Viel besser fände er «Lass mich nicht in Versuchung geraten». Nicht Gott führe uns in Versuchung, sondern der Satan, fährt das Oberhaupt der Katholiken fort. «Ein Vater tut sowas nicht. Vielmehr hilft er, wieder aufzustehen.»

Diese Äusserung schlägt nicht nur unter Kirchenleuten – katholischen und protestantischen – hohe Wellen. Auch weltliche Medien wie «Blick», «20 Minuten» und «NZZ am Sonntag» nehmen das Thema auf. «Das erstaunt mich am meisten an der ganzen Sache», sagt dazu die Theologin Ina Praetorius. Durch die Überlegung des Pontifex bekomme die Forderung nach einer Aktualisierung der biblischen Texte auf einmal sehr viel öffentliche Aufmerksamkeit. «Dabei wird das Thema gerade in der feministischen Theologie seit Jahrzehnten diskutiert. Und jetzt auf einmal soll es auf eine recht autoritäre Art umgesetzt werden.»

Gott führt nicht in Versuchung
«Mutig vom Papst» findet es Buchautor Josef Hochstrasser, einst katholischer Priester und später reformierter Pfarrer. Mutig, weil er damit einen altehrwürdigen Text in Frage stelle. «Aber der Papst tut das zu Recht, denn es ist höchste Zeit, dass auf seelsorgerischer Ebene das Bild des liebenden Gottes auch in der Sprache Eingang findet.» Die Texte in der Bibel hätten auch Menschen verfasst, also dürfe man jetzt durchaus daran weiterschreiben. Dennoch müsse man auf der wissenschaftlichen Ebene den Text genauso nehmen, wie er ist. «Die Theologen sollen sich weiterhin auch mit dem Urtext befassen. Wie ein Gedicht von Goethe ist ein Gebet ebenfalls stets vor dem Hintergrund seiner Zeit zu verstehen.» 

An den theologischen Fakultäten in Basel und Zürich sieht man dies anders. Die Neutestamentler Christine Oefele und Samuel Vollenweider sind gegen die Veränderung, erkennen aber das seelsorgerliche Anliegen des Papstes. Die Aussage im Unser Vater sei etwas befremdlich, räumen sie ein. Die Theologen warnen jedoch davor, liturgische Texte allzu rasch umzuschreiben. Der Dogmatiker Karl Barth hätte darauf hingewiesen, dass Gott immer auch der «ganz Andere» sei, sagt Christine Oefele. Gott lasse sich nicht als liebevoller oder strafender Vater vereinnahmen.

Gott ist auch spröde
In ähnlicher Richtung denkt auch der Theologe Frank Mathwig vom Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund: «Mit der geforderten Textänderung wird Gott zu einem harmlosen Wesen ohne Ecken und Kanten», sagt er. Die Kirche versuche damit, Widersprüche aus dem Weg zu räumen, sodass möglichst viele sich mit dem Gottesbild arrangieren können. «Ein Gebet wie das Unser Vater, das seit 2000 Jahren gesprochen wird, muss doch nicht primär geschmeidig über die Lippen gehen», findet Mathwig. «Durch diese semantische Anpassung geht etwas Wesentliches verloren, nämlich das Widersprüchliche und Spröde, das diesen Gott ebenfalls ausmacht.»

Katharina Kilchenmann, reformiert., 13. Dezember 2017

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